Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
hatte gelacht und mit den Kindern gescherzt, hatte ihr Bestes gegeben und sich insgesamt so normal verhalten, dass es ihm schwerfiel, zu glauben, dass sie von mentalen und möglicherweise dazu emotionalen Problemen belastet war. Dennoch hatte ihn die jahrelange Beobachtung von Patienten gelehrt, dass einige von ihnen Meister der Verstellung waren und vorgaben, dass es ihnen ausgezeichnet ging, obwohl in ihrem Inneren die geistige Verwirrung kochte und schäumte. Er wollte nicht glauben, dass dies bei Jessica der Fall war, doch er wusste, dass er mit seiner Meinung im Moment vorsichtig sein musste.
»Die Familie Hunter muss hier schon lange wohnen«, stellte Jessica fest. Sie sah, dass das Haus ziemlich alt war und dass je nach Bedarf Räume angebaut worden waren.
»Sieben Generationen, wenn man Rory und Kate mitzählt. Bede Hunter war ein Holzfäller aus Dorrigo in New South Wales. Der Familienchronik zufolge kam er irgendwann um 1890 mit seiner Frau und sechs Kindern nach Norfolk, als ein Unternehmer hier versucht hatte, eine Holzindustrie aufzubauen. Als der Industriezweig in den zwanziger Jahren dann zusammenbrach, hatten die Hunters bereits andere Beschäftigungen gefunden und blieben hier.«
»Warum gibt es dann nicht noch mehr Hunters auf der Insel?«, wunderte sie sich. Sie hatte bemerkt, dass an Weihnachten nur Nans Kinder und ihre Familien da gewesen waren.
»Das Übliche. Zwei von Bedes Kindern starben, bevor sie erwachsen wurden. Clarence, der Älteste, wurde getötet, bevor sie nach Norfolk kamen. Er war damals erst achtzehn. Eines der Mädchen, Frances, hat geheiratet und lebte in Neuseeland. Also blieben nur noch Beatrice, die Jüngste, die nie geheiratet hat, und mein Ururgroßvater Stewart. Er heiratete eine der Quintals, aber die nachfolgenden Generationen hatten jeweils nur einen Sohn. Mein Urgroßvater Luke hat Hunter's Glen zu einem richtigen Hof gemacht.« Er hielt inne, um Luft zu holen. »Damals bestand die Familie einschließlich Ehefrauen, Ehemännern und Nachkommen aus dreizehn Personen. Sie lebten von den Farmerträgen und verkauften die Produkte an andere Leute. Sein Sohn Geoffrey führte den Hof weiter, aber Eric, mein Vater, wandte sich dem Geschäftsleben zu. Er besaß einen Herrenausstatterladen in Burnt Pine an der Taylors Road zu einer Zeit, lange bevor Burnt Pine ein zollfreies Einkaufs-Mekka für Touristen wurde. Doch nach Mutters Tod verlor er das Interesse an allem und starb schließlich.«
»Das ist traurig, Marcus.«
»Ja«, stimmte er zu. »Doch so etwas geschieht.« Mit einem Zucken seiner breiten Schultern versuchte er die melancholischen Erinnerungen zu verscheuchen. »So ist das Leben, nehme ich an.«
»Und manche von uns schätzen nicht genug, was sie haben, bevor sie es verlieren.«
Marcus fixierte sie scharf von der Seite und fragte sich, ob ihr prophetischer Satz eine allgemeingültige Aussage sein sollte, oder ob sie ihn auf ihr eigenes Leben bezog, vielleicht sogar auf ihre Ehe und auf Simon. Oder vielleicht sogar auf die Tatsache, dass die unnahbare Art ihres Mannes und sein Desinteresse an ihrem Problem zunehmend offensichtlicher wurden?
»Das ist sehr tiefgründig«, meinte er leise lachend in dem Versuch, dem Moment die Spannung zu nehmen. Er wollte nicht, dass sie nach innen blickte und ihre Ehe sezierte. Er wollte, dass ihre Emotionen auf einem normalen Niveau blieben. »Alle Ehen haben ihre schweren Zeiten, Jessica. Meine zum Beispiel. Ich hatte nicht gemerkt, wie sehr Donna und ich uns auseinandergelebt hatten, wie sich unser Leben veränderte und dass wir auf einmal unterschiedliche Ziele hatten. Und dann war es irgendwann zu spät.« Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lachen. »Angeblich bin ich ein guter Psychologe, aber ich habe nicht gesehen, wie meine eigene Ehe auseinanderbricht.«
Sie lächelte ihn mitfühlend an. »Wie sagt man so schön? Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Also, theoretisch gesagt natürlich: Was kann man denn tun, wenn man weiß, dass seine Ehe in Schwierigkeiten steckt und man scheinbar nicht in der Lage ist, etwas daran zu ändern?«
»Das ist wirklich schwer zu sagen, theoretisch gesprochen. In deinem Berufszweig hast du viele gescheiterte Ehen erlebt. Ich glaube, wenn du ernsthaft danach suchst, findest du ein paar Auslöser, die vielen davon gemeinsam sind. Menschen verändern sich, leben sich auseinander, wachsen übereinander hinaus. Und ohne dass ich hier den Mo ralapos tel spielen
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