Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
stöhnte auf. Gott, er war auch nur ein Mensch. Ihre Gesichter waren einander so nahe … noch ein paar Zentimeter weiter, und er könnte diese Lippen wirklich küssen, anstatt in seinen Träumen. Und er wünschte es sich so sehr, dass es schmerzte.
Er watete tiefer ins Wasser und ließ sie dann hineingleiten, unfähig, seinen Blick von ihrem Badeanzug zu lösen, der sich mit Wasser vollsog und an ihrem Körper klebte.
Als ihn schließlich das Bedürfnis überkam, sich selbst zu retten, ließ er sie los. Eine Welle ließ ihre Körper aneinanderstoßen, und als sie aufschaute, trafen sich ihre Blicke.
Eine Sekunde lang sah er Überraschung, dann Erkenntnis und dann noch etwas anderes in der blauen Tiefe ihrer Augen. War es das blitzartige Erwachen von Gefühlen, die bis dahin verborgen gewesen waren? Vielleicht. Nein, er war nicht mutig genug zu vermuten, was sich in ihren Augen widerspiegelte. Noch nicht.
»Komm schon«, grinste er, »wir machen ein Wettschwimmen zum Ponton!«
Er wusste, was sie im Moment brauchten. Abstand voneinander, um die plötzliche Intensität, die zwischen ihnen aufgesprungen war, zu verdrängen. Später, viel später würde er versuchen zu analysieren, was es bedeuten sollte.
Simon stand in der Mitte des Wintergartens und betrachtete böse die vier Gesichter in dem Gemälde, Gesichter, die er leidenschaftlich zu hassen begonnen hatte, obwohl erst zwei davon wirklich fertig waren. Er nippte an seinem Napoleon-Cognac, den er so liebte, während er darauf wartete, dass Jessica ihm den Kaffee brachte. Er hatte schon gesehen, dass sie sich bei dem Ausflug mit den Hunters an den Strand zwar einen Sonnenbrand geholt hatte, aber ansonsten im Moment völlig normal zu sein schien.
Sein Mund wurde zu einem schmalen Strich. Normal. Verdammt, fragte er sich, würde sie je wieder völlig normal sein? In einem Moment der Selbstanalyse versuchte er zu erkennen, was mit ihnen geschah. Sie hatten Damians Tod verkraftet, ohne daran zugrunde zu gehen – er zumindest, aber dieses neue Trauma schien ihre Ehe zu gefährden. Er spürte es und fühlte sich machtlos, diese Entwicklung auf zuhalten. Sie trieben auseinander, und die Spannung, die durch Jessicas besondere Lage entstand, vergrößerte den Abgrund zwischen ihnen. Zumindest sah er es so, obwohl er bezweifelte, dass Jessica, loyal wie sie war, ihm da zustimmen würde. Ihre Erfahrungen vor Gericht hatten sie fast paranoisch werden lassen bei dem Versuch, Ehen zu retten.
Seine Augen verengten sich nachdenklich, als er aus dem Fenster über die in der Dunkelheit versinkenden Weiden blickte. Für seine Zukunftspläne wäre es sehr unangenehm, wenn dieses Problem zu einer Trennung führen würde. Er war derjenige mit den Ambitionen, dem Traum, der sie zu vielfachen Millionären machen sollte. Sein Geriatriekomplex würde ein voller Erfolg werden, davon war er überzeugt. Doch sie war diejenige, die das Geld hatte. Außerdem liebte er sie genauso wie ihre lukrativen Wertpapiere. Sein Lächeln wurde ein wenig zynisch, als er diesen Gedanken weiterverfolgte. Natürlich liebte er seine Frau.
»Simon, dein Kaffee.«
Er wandte sich und nahm ihn mit einem dankbaren Lächeln entgegen. »Warum setzen wir uns nicht ins Wohnzimmer?«
»Es ist schön hier im Wintergarten«, entgegnete sie und setzte sich in einen der beiden Sessel. »Die Weide ist wunderschön, nicht wahr? Ich werde die Aussicht vermissen, wenn wir hier fortgehen.«
»Oh, ich glaube nicht, dass du sie sehr vermissen wirst. Wir können das Haus in Mandurah verkaufen und in Perth ein anderes mit einer schönen Aussicht kaufen.«
»Ich glaube, das wäre am besten.« In ihrem alten Heim, das sie mit Damian geteilt hatten, steckten zu viele Erinnerungen, gab sie im Stillen zu.
»Ich könnte die Aussicht mehr genießen, wenn ich mir nicht dieses verdammte Bild ansehen müsste«, stieß Simon unvermittelt hervor. »Ich kann es nicht leiden, wie mich diese Gesichter ansehen. Es geht mir auf die Nerven.«
Jessica zog die Augenbrauen hoch. Er war schlecht gelaunt. Nicht, dass das in den letzten Tagen etwas Ungewöhnliches gewesen wäre. Sie hatte fast vergessen, wie ausgeglichen er zu sein pflegte. Früher. Sie konnte sich daran erinnern, dass er einmal, viele Male, sehr gelassen geblieben war, wenn es in ihrer Ehe zu Problemen oder Krisen gekommen war. Seine Ruhe im Angesicht einer drohenden Katastrophe hatte sie amüsiert. Jetzt allerdings konnte sie nicht behaupten, amüsiert zu sein, da er
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