Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
will, sage ich mal, dass es viele Paare einfach nicht stark genug versuchen. Manche glauben, es sei einfacher, wegzugehen und neu anzufangen, als den Schmerz zu ertragen, sich seine Fehler einzugestehen und zu versuchen, daraus zu lernen. Es gibt viele Gründe dafür, warum manche Ehen halten und andere nicht.«
»Das ist eine gute Zusammenfassung. Du hättest einen guten Anwalt abgegeben«, neckte sie ihn, ein Gähnen unterdrückend. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so … wohl gefühlt hatte, so unverkrampft in ihrer eigenen Gegenwart und in seiner. Es war fast so, als ob ihre Probleme gar nicht existierten, und vielleicht konnte sie – und sei es nur für diese eine Nacht – so tun, als gäbe es sie gar nicht.
»Müde?«
»Schlapp, ehrlich gesagt.« Im Dämmerlicht der Terrasse blitzten ihre blauen Augen kurz auf. »Rory und Kate sind effektive Waffen, um einen Erwachsenen zu ermüden, aber ich habe ihre Gesellschaft genossen. Es sind wundervolle Kinder.«
»Ich glaube auch. Und du siehst wirklich entspannt aus.«
Sie sah, wie er die Arme über den Kopf hob und sich streckte. Wie zuvor schon am Strand machte ihr die Bewegung seine pure physische Präsenz bewusst. Marcus Hunter war nicht gerade hässlich, das ließ sich nicht leugnen und er verfügte über eine Wärme und Herzlichkeit, die ihm eindeutig eine fast altmodische Attraktivität verliehen. Sie fragte sich, warum ihn die geeigneten Frauen der Insel oder in Auckland nicht umschwärmten wie die Fliegen – oder eher Bienen.
Irgendwo tief im Inneren begann es zu pulsieren. Der Puls an ihrer Kehle schlug auf einmal doppelt so schnell, und sie spürte das Blut durch ihre Adern rauschen und geradezu singen vor … ja, vor was? Oh, sie wusste es schon: Es war Verlangen. Nein, nein, nein! Sie unterdrückte das gerade entstehende Gefühl, bevor es zu stark wurde. Was war denn nur los mit ihr? In all den Jahren, in denen sie mit Simon verheiratet gewesen war, hatte sie keinen anderen Mann auch nur eines Blickes gewürdigt. Und jetzt, sobald er die Insel verlassen hatte, fragte sie sich auf einmal … Was würde Marcus von ihr halten, wenn er wüsste, was sie gerade dachte? Er wäre sicherlich schockiert. Bestimmt wäre er enttäuscht, und doch … Gelegentlich hatte sie ihn dabei ertappt, dass er sie ansah, als ob er sie attraktiv fände. Wirst du wohl aufhören!
»Nan hat gesagt, ihr wollt morgen im Atelier arbeiten.«
Sie hörte seine Stimme aus weiter Ferne zu ihr durchdringen. »Äh, ja. Ich bin so eine nervige Anfängerin. Deine Schwester hat wirklich eine Engelsgeduld mit mir.«
»Auch sie war mal Anfängerin«, entgegnete er. »Nun, die Kinder fliegen morgen ziemlich früh los, also gehe ich besser schlafen.«
»Hört sich nach einer guten Idee an. Auch ich könnte gut eine Nacht ruhigen Schlaf gebrauchen«, erwiderte Jessica, doch ihr war bewusst, dass, wenn sie in ihrem plötzlich so elektrisierten Zustand jetzt schlafen ging, sie nicht die ätherische Sarah in ihren Träumen besuchen würde, sondern ein gewisser braunäugiger Mann mit Locken.
»Hast du schon einmal auf einem Motorrad gesessen?«, fragte Nan, als sie sah, dass Jessica die alte Harley Davidson ohne große Begeisterung betrachtete.
Kopfschüttelnd verneinte sie Nans Frage. »Das nennst du ein Motorrad?«, neckte sie Marcus, der sagte, er müsse den Vergaser neu einstellen. »Das ist ein Relikt. Du solltest es dem Inselmuseum stiften.«
»Psst«, warnte er sie. »Wenn du Bonnies Gefühle verletzt, kriege ich das verdammte Ding nie in Gang.«
»Bonnie!«, riefen beide Frauen gleichzeitig und brachen in Gelächter aus.
Marcus sah ein wenig verlegen drein und verfiel in den Norfolk-Dialekt. » Hei, du tork faret, shi miin bii es bohni baik ef she uni wanto goe. «
Jessica war mittlerweile ein wenig mit der merkwürdigen Sprache vertraut und übersetzte für sich, dass sie sich lieber nicht über »Bonnie« lustig machen sollte, da das Motorrad zickig genug war, um beleidigt zu sein. Sie kicherte leise, denn sie hatte – hauptsächlich von Nan – einige Geschichten über die widerspenstige Natur des Motorrads gehört und besonders über Marcus' Geduld beim Herumschrauben und bei der Suche nach geeigneten Ersatzteilen. Nur mit viel Schmeicheleien brachte er das Motorrad zum Laufen – mehr oder weniger.
Jessica war seit dem frühen Morgen auf den Beinen, hatte Rory und Kate verabschiedet, obwohl sie nicht mit zum Flughafen gefahren war, und
Weitere Kostenlose Bücher