Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
betrachten. Scheinbar gab es keine Verbesserung, aber er persönlich sah auch keine Verschlechterung. »Ich wollte mit Ihnen darüber reden, das Problem anders anzugehen. Ich möchte Jessica hypnotisieren und sehen, was sie unter dem Einfluss der Hypnose erzählt.« Er sah Simon direkt in die Augen und versicherte ihm: »Das ist ein rein medizinisches Verfahren.«
Simon schien nicht überzeugt. »Wie könnte ihr das helfen?«
»Sie haben eine Theorie von einer Spaltung oder dem Beginn einer multiplen Persönlichkeit erwähnt. Wenn ich sie weit genug zurückführen kann, dann kann ich diese Theorie vielleicht beweisen oder widerlegen. In den meisten Fällen weiß der Hypnotiseur nicht, was der Patient ihm enthüllen wird«, meinte er entschuldigend, »es ist also ein wenig wie eine Entdeckungsreise.«
»Könnte es Jess noch mehr Schaden zufügen? Ich möchte sie ungern zu etwas überreden, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie dadurch verletzt wird.«
Marcus runzelte nachdenklich die Stirn, die Vor-und Nachteile abwägend. »Das würde ich genauso wenig wollen. Ich kann Ihnen zwar keine hundertprozentige Garantie geben, aber ich glaube nicht, dass es ihr mental oder emotional schaden könnte. Aber es könnte uns helfen, mehr da rüber herauszufinden, was ihr fehlt … vielleicht sogar mehr über Sarah. Ich glaube, es ist den Versuch wert, aber
es ist Ihre Entscheidung.«
»Und Jessicas?«
»Natürlich.«
»Gut, dann können wir es ja versuchen. Aber ich möchte dabei sein, wenn Sie das tun.«
»Das hoffe ich doch. Ich dachte, es wäre eventuell besser, wenn wir das bei uns machen, anstatt im Cassell Cottage, wo doch viele der merkwürdigen Ereignisse stattgefunden haben.«
»Das ist mir recht. Wann?«
Marcus fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und verschränkte sie dann hinter dem Kopf. »Je früher, desto besser. Wenn es Jessica recht ist, morgen Abend.«
Sie war nervös. Zwar hatte Marcus sie beruhigt, dass dazu kein Grund bestand, dass sie unter Hypnose nichts sagen würde, was ihr unangenehm war, doch sie war trotzdem nervös. Sie selbst war noch nie zuvor hypnotisiert worden, aber an der Uni hatte sie einmal erlebt, wie ein Kommilitone hypnotisiert wurde. Es war nichts Dramatisches gewesen, eigentlich sogar ziemlich unspektakulär, daher bestand kein Grund zur Nervosität, oder?
»Bevor wir anfangen, möchte ich dir sagen, was ich über die Namen herausgefunden habe, die du mir genannt hast. Alle, Sarah, Waugh und Dowd, sowie Captain Stewart und seine Frau Cynthia, haben existiert.« Er warf Simon einen kurzen Blick zu. »Damit hätten wir bewiesen, dass Jessicas Träume auf wirklichen Menschen basieren, die alle einmal auf Norfolk gelebt haben.«
»Du meine Güte, das ist erstaunlich«, meinte Nan überrascht und strahlte Jessica an. »Das scheint mir gleichzeitig der Beweis zu sein, dass du nicht halluzinierst.«
Jessica lächelte ihr dankbar zu. Sie waren also wirklich real. Gott sei Dank!
»Sarah kam mit ihrem Mann Will nach Sydney, und wie in Jessicas Traum starb Will an Lungenentzündung, woraufhin Sarah bei den Stewarts arbeitete. In den Militärunterlagen finden sich auch Belege dafür, dass Corporal Elijah Waugh wegen der versuchten Vergewaltigung von Sarah vor das Kriegsgericht kam. Er verlor seine Streifen, wurde ausgepeitscht und zu einer Kompanie in die Minen von Newcastle geschickt. Schließlich wurde er gemäß den Regimentsakten nach Norfolk strafversetzt. Diese Unterlagen besagen ebenso, dass Dowd auf der Insel war. Interessant ist«, fuhr Marcus fort, »dass Waugh im November 1853 ertrank und Dowd Streit mit einem Soldaten bekam, ihn tötete und im selben Jahr noch dafür gehenkt wurde. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass das neue Gesicht im Gemälde das des Mannes ist, den Dowd getötet hat, ein gewisser Soldat Rupert McLean.«
»Aber was geschah mit Sarah?«, wollte Jessica wissen.
»Nun, sie war Haushälterin bei den Stewarts auf Norfolk, bis sie irgendwann im Oktober 1853 verschwand. Man hat intensiv nach ihr gesucht, aber keine Spur von ihr gefunden. Ein Eintrag in Captain Stewarts Tagebuch besagt, dass sie entweder ins Meer gestürzt und ertrunken sei oder sich im Busch verlaufen hatte – der damals noch sehr dicht war –, die Orientierung verlor und verdurstete oder verhungerte.«
»Wie schrecklich.« Jessica erschauderte bei dem Gedanken, dass eine so lebendige Frau wie Sarah ein so unrühmliches Ende genommen haben sollte. Dann dachte sie an das
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