Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
um und verschwand unbeeindruckt von seiner schroffen Antwort in der Küche.
Marcus blieb ein paar Minuten stehen und starrte nachdenklich auf die Küchentür. Er hätte nicht in diesem Ton mit ihr reden sollen, erkannte er zu spät. Seine Schwester hatte ihn nur in ihrer nüchternen Art necken wollen. Aber er war im Moment noch nicht dazu bereit, darüber zu reden, was er für Jessica Pearce empfand. Mit niemandem. Das war sein Geheimnis, so dachte er zumindest. Und das würde es auch bleiben, bis er so weit war, es zu enthüllen.
»Natürlich verstehe ich das, mein Liebling«, flüsterte Sue Simon ins Ohr, als sie sich auf dem Vordersitz seines Wagens an ihn schmiegte. »Für dich steht viel auf dem Spiel, dein Projekt. Wir müssen es auf jeden Fall schützen.« Es interessierte sie nicht, dass er noch mit Jessica unter einem Dach lebte. Jedes Mal, wenn sie zusammen waren, wurde sie besser darin, ihn um den Finger zu wickeln. Sag einem Mann, was er hören will, und sage es mit der entsprechenden Begeisterung, lass ihn dich nach Belieben begrapschen, und man hatte schon halb, was man wollte, dachte sie zynisch. Das war eines der wenigen Dinge, mit denen ihre Mutter Recht gehabt hatte.
Auf Simons Gesicht spiegelte sich die Erleichterung wider, und er entspannte sich sichtlich. Er hatte sich Sorgen gemacht, dass sie ungeduldig wurde. Aber er hätte es besser wissen sollen – dazu war seine Sue viel zu mitfühlend. »Ich bin froh, dass du es auch so siehst«, sagte er. »Es ist nicht für immer, nur bis ich ihre Aktienpakete in die Finger bekomme, als Sicherheit für das Projekt. Bis dann werde ich mich unterwerfen und den perfekten Ehemann spielen.« Einen Moment lang überlegte er, dann fügte er hinzu: »Wir werden diskret sein müssen. Sehr diskret.«
»Diskretion ist mein zweiter Name«, behauptete sie lachend, sah ihn aufreizend an und spielte an ihm herum. »Glaub mir, auf dieser Insel können wir völlig ungestört sein. Nach sechs Jahren hier kenne ich den Ort in- und auswendig.«
Er küsste sie mit kaum gezügelter Leidenschaft. »Worauf warten wir dann noch?«
19
s bereitete Jessica ein morbides Vergnügen, alle Medikamente, die Simon ihr verschrieben hatte, in eine Tüte zu stecken und in den Müll zu werfen. Darüber würde Simon zwar nicht sehr erfreut sein, denn er glaubte nach wie vor, dass sie ihre Emotionen unter Kontrolle halten musste, aber bei dem, was gerade um sie her passierte, war das sowieso völlig unmöglich.
Über eine Woche war vergangen, seit sie von Simons Untreue mit Sue Levinski erfahren hatte. Tag für Tag durchlebten sie die Rituale der Höflichkeit. Er gab ihr beim Kommen und Gehen einen Kuss auf die Wange. Sie bereitete das Abendessen, bei dem sie über Belanglosigkeiten redeten, über alles andere, nur nicht über ihre kriselnde Ehe. Keiner von ihnen wollte zu einer offenen Diskussion anregen, bei denen sie beide die Karten offen auf den Tisch legten. Es war eine Farce, das wusste sie. Sie glaubte, dass es auch Simon klar war, doch aus Gründen, die nur ihm selbst bekannt waren, wollte er es sich nicht eingestehen.
Es wird besser werden, versuchte sie sich einzureden, als sei das ein mächtiges Mantra. Wenn sie ihm erst vergeben konnte. Doch selbst nach vielen Stunden ernsthaften Nachdenkens wusste sie, dass es um mehr ging, als ihm zu verzeihen, dass er Sex mit Sue gehabt hatte. Das war nur der Auslöser gewesen, dass sie sich jetzt tatsächlich hinsetzte und über ihr gemeinsames Leben nachdachte. Darüber, wie ihre Beziehung langsam so weit abgekühlt war, dass sich ihre Liebe in etwas anderes verwandelt hatte: Toleranz, Pflicht und Vertrautheit ohne Zuneigung. Sie hatte versucht, sich selbst einzureden, dass ihr Leben zur Zeit unter einer großen Anspannung stand, da Simons Fehltritt erst so kurze Zeit zurücklag. Ja, das war es wohl. Der Schmerz würde mit der Zeit nachlassen. Sie musste nur Geduld haben. Sie musste daran glauben, dass alles wieder ins Lot kommen würde. O Gott, was für ein Haufen banaler Phrasen! Sie konnte sich gut daran erinnern, dies und mehr ihren Klienten in Perth geraten zu haben.
Mitten im Wintergarten stehend, versuchte Jessica, sich auf das Malen zu konzentrieren, und mischte auf ihrer Palette Himmelblau mit Weiß an. Trotz des Dramas in ihrem Leben – mit Sarah, Simon und Marcus (o ja, sie war ehrlich genug zuzugeben, dass auch Marcus Hunter zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden war) – hatte sie es geschafft, fünf
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