Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
eine Liste von Fragen und Antworten abgehakt, die sie nur noch mehr verwirrten. Wollte sie Simon immer noch körperlich? Nicht wirklich. Würde sie ihn vermissen, wenn er nicht mehr da war? Ja und nein. Allerdings würde sie auch ihr bequemstes Paar Schuhe vermissen, wenn es nicht mehr da war … Teilten sie ihr Leben und ihre Ehe, oder trieben sie in verschiedene Richtungen und blieben nur zusammen, weil es im Moment bequem und vorteilhaft war? Ja. Würde sie es gefühlsmäßig verkraften, wenn er morgen aus ihrem Leben verschwunden war? Das war eine schwierige Frage, die sie gründlich überlegen musste, bevor sie zu der einzigen ihrer Meinung nach ehrlichen Antwort kam: Ja.
Heute Morgen hatte sie erkannt, dass sie sich weiterentwickelte, unbewusst und ungeplant, vielleicht sogar wegen dem, was auf Norfolk geschehen war. Die Jessica Pearce von heute war eine andere als die, die sie noch vor wenigen Monaten gewesen war. Sie hatte eine seltsame Metamorphose von der Ehefrau über die Mutter und erfolgreiche Anwältin durchlaufen, zu einer anderen Person mit anderen Bedürfnissen, Wünschen und Zielen, als sie sie früher gehabt hatte.
Das war einerseits sehr beunruhigend und andererseits dennoch aufregend. Man sollte meinen, dass man so kurz vor dem Scheitern seiner Ehe am Rande der Verzweiflung sein sollte, aber das war sie nicht. Es machte sie traurig, ja, aber zugleich optimistisch, als ob das Leben, wie Marcus gelegentlich gesagt hatte, in Kreisen verlief. Und wo der eine aufhörte, begann ein neuer. Geschah das jetzt mit ihr?, fragte sie sich. Der Beginn eines neuen Zyklus, den sie allein beginnen würde?
»Ja, das alles ist hochinteressant«, fand Marcus. Er klang etwas unkonzentriert, da er Jessica beobachtete. Er spürte, dass etwas an ihr anders war, eine Spannung, dicht unter der Oberfläche, als ob sie etwas auf dem Herzen hätte. »Bist du gekommen, um uns mit den neuesten Episoden in Sarahs Rätsel zu erfreuen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Sarah war ungewöhnlich ruhig. Vielleicht hat sie sich bei der Hypnosesitzung überanstrengt.« Sie warf einen Seitenblick auf Nan und Marcus. »Mir war nach etwas Gesellschaft zumute. Ich hoffe, es macht euch nichts aus.« Bei Marcus musste sie vorsichtig sein. Er war scharfsinnig genug, ihre Stimmungsschwankungen zu erkennen. Selbst wenn er technisch gesehen ihr Psychologe sein sollte, wollte sie doch nicht so gerne mit ihm über ihre Eheprobleme reden. Noch nicht.
»Etwas dagegen haben? Wir haben ganz und gar nichts dagegen«, sagte Nan und schob ihren Arm durch Jessicas. Sie grinste breit. »Lass dich von mir zum Töpferatelier geleiten, meine Liebe.«
Nachdem Jessica nach Hause gegangen war, verbrachte Marcus noch mehrere Stunden am Computer und lud die restlichen Informationen herunter, die ihm sein Freund Billy Lane geschickt hatte. Als Nan aus dem Atelier zurückkam, schaltete er den PC aus und verkündete: »Ich habe mich entschlossen, noch nicht zur Universität zurückzukehren. Ich werde hier bleiben, bis das Geheimnis um Sarah gelüftet ist.«
»Darüber wird man an der Uni aber sicher nicht sehr erfreut sein.«
»Ich habe vor ein paar Tagen mit dem Rektor gesprochen. Nein, es freut ihn nicht sehr. Aber es ist meine Entscheidung, damit müssen sie eben leben. Ich werde einen langfristigen Urlaub einreichen, mir stehen noch fast drei Monate zu. Und ich habe Amanda Townley von der historischen Fakultät gebeten, mich im ersten Semester zu vertreten. Sie hat zugesagt, und damit ist der Rektor einigermaßen zufrieden.«
»Nun, ich bin sicher, Jessica weiß es zu schätzen, dass du hier bist. Ihr beide versteht euch gut, nicht wahr?«, setzte sie fragend mit einem wissenden Lächeln nach.
»Wie meinst du das?«
»Oh, es ist für jemanden, der dich so gut kennt, ziemlich offensichtlich, Marcus. Du magst sie sehr. Ich würde sogar sagen, dass es mehr ist.« Sie sah ihn offen an. »Habe ich Recht?«
»Du warst schon immer neugierig, Nan. Kümmere dich um deinen eigenen Kram«, erwiderte er nicht gerade freundlich.
»Ah, dachte ich es mir doch«, meinte sie selbstzufrieden.
Marcus entschied sich, auf diese Bemerkung nicht zu antworten. Diese Diskussion konnte er sowieso nicht zu seiner Zufriedenheit gewinnen, daher war ein strategischer Rückzug sicherer. Er nahm den Papierstapel, den er ausgedruckt hatte, und stand auf. »Ich gehe eine Weile auf den Friedhof.«
»Schön. Um halb sieben gibt es Essen, wie immer«, erwiderte sie, drehte sich
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