Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
geschaffen hatten, mit ihr zu teilen. Meggie, kleine, süße Meggie. Ihre Finger berührten die Perlenbrosche ihrer Mutter, die sie an ihre Bluse geheftet hatte. Sie hatte vergessen, sie abzunehmen und in ihre spezielle Schachtel zu tun, nachdem sie für Mrs. Stewart und Doctor Bruce den Tee aufgetragen hatte.
Sarah ging aus dem Cottage zur Küche hinüber, die zusammen mit dem Waschhaus und dem Stall durch einen überdachten Gang mit dem Haupthaus verbunden war. Maude schlief bereits in ihrem Bett unter dem Fenster, daher ging sie zum Feuer und goss sich eine Tasse Tee aus der Porzellankanne ein. Er würde noch heiß und stark sein, wie sie es mochte. In der Stille konnte sie die Stewarts leise miteinander reden hören, die in dem ihren Verhältnissen kaum angemessenen Salon bei einem Glas Portwein zusammen saßen, bevor sie ins Bett gingen. Im vierten Monat ihrer Schwangerschaft ging es Mrs. Stewart sehr gut, was den kleinen Haushalt des Captains sehr erleichterte.
Bei Einbruch der Nacht senkte sich mit der Dunkelheit auch etwas Kühle über die Insel. Ihren Becher in beiden Händen haltend, stand Sarah auf dem neuen Ziegelpflaster, das Frederick erst letzte Woche fertig gestellt hatte, im Schein des Lichts, der durch das Küchenfenster fiel. Sie holte tief Luft, denn das Atmen der kühlen Nachtluft gab ihr ein Gefühl der Erneuerung. Frühling war von Kindesbeinen an ihre liebste Jahreszeit gewesen, und selbst wenn das Leben auf Norfolk mit dem in Dublin in nichts vergleichbar war, so war doch auch auf dieser Seite der Welt die Jahreszeit des Wiedererwachens angenehm vertraut. Im Vor gar ten brachen die Frühlingsblumen durch, und an Sträuchern und Bäumen zeigten sich neue Knospen. Unglücklicherweise blieb die Tatsache, dass Grausamkeit, Entbeh rung und das Fehlen menschlicher Würde auf der Insel herrschten, unabhängig von der Jahreszeit immer bestehen.
Sie musste an den Seemann von einem Walfänger denken, der angelegt hatte, um frisches Wasser zu bunkern. Er hatte der Siedlung davon berichtet, dass gestern am Horizont die Segel einer Barke aufgetaucht waren. Während Sarah ihren Tee trank, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Bald würde sie die Bedrohung durch Elijah Waughs Gegenwart los sein, und das nicht einen Moment zu früh. Allein das Wissen, dass er auf der Insel war, auch wenn ihn der Captain von Kingston fernhielt, bereitete ihr ständig Angst.
Das Knirschen von Schritten auf dem Kiespfad ließ sie aufschauen, sie vermutete zu wissen, wer das war. Höchstwahrscheinlich der junge Cavanagh, der sich gelegentlich aus der Kaserne schlich, um Maude zu sehen.
»Ah, Miss Sarah«, grüßte Timothy sie, als er um die Hausecke bog und sie entdeckte. »Einen schönen Abend wünsche ich.«
»Ich Ihnen auch, Timothy. Aber ich fürchte, dass Maude bereits zu Bett gegangen ist.«
»Oh.« Seine Enttäuschung klang echt, doch dann hellte sich sein Gesicht auf. »Dann werde ich Ihnen einen Moment Gesellschaft leisten, Miss Sarah, wenn es Ihnen Recht ist.«
Sarah lächelte. Er war ein angenehmer junger Mann, kaum achtzehn, schätzte sie. Und er unterschied sich wohltuend von den anderen Soldaten, die zum größten Teil ein ziemlich rauer Haufen waren. Sie setzte sich auf das Mäuerchen, das ihr vertrauenswürdiger Strafgefangener in den Wintermonaten gebaut hatte, um den Gemüsegarten zu vervollständigen, den Mrs. Stewart anlegen wollte.
»E-es ist kühl, aber angenehm, finden Sie nicht auch?«, begann Timothy zögernd.
»Ja, wirklich, Timothy. Es ist sehr willkommen nach dem kalten Winter.« Die Winter auf Norfolk waren normalerweise sehr mild im Vergleich zu denen, an die sie sich aus Dublin erinnerte, aber um der Konversation willen stimmte sie ihm zu.
Dowd und McLean hatten sich Lumpen um die Stiefel gewickelt, um das Geräusch ihrer Schritte zu dämpfen, und hielten sich im Schatten der dichten Büsche bereit, mit ihren Werkzeugen, einem Sack, einem Stoffknebel und einem Seil. Auf ein Nicken von McLean hin schlugen sie zu …
Sarah hatte kaum Zeit, den Kopf nach dem ungewohnten Geräusch umzudrehen, als sie auch schon über ihr waren.
Zuerst stopften sie ihr den Knebel in den Mund, damit sie nicht schreien konnte. Dann schlangen sie ihr das Seil um die Arme und banden sie an ihrem Oberkörper fest. Sarah wehrte sich und trat mit den Füßen nach den hinter ihr Stehenden, ihren Blick entsetzt auf Cavanagh gerichtet, der mit offenem Mund dastand und ihr nicht zu Hilfe kam, sondern nur
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