Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
Jess, in Ordnung.« Er sah auf seine Uhr. »Ich werde zu spät kommen, ich sollte besser gehen.«
Er wollte sie auf die Wange küssen, aber sie wich zurück. »Lass das bitte.« Der Gedanke an seine Berührung machte sie krank, besonders, da sie wusste, bei wem er zuvor gewesen war.
Sie sah ihm nach, als er zur Tür ging, die Schultern gesenkt, und stellte sich unwillkürlich die Frage, ob sie selbst daran schuld war. Hatte sie ihn im Stich gelassen? Sicherlich war sie mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, und Damians Tod hatte bei ihr zu einem Zusammenbruch geführt. Was für eine Frau war sie ihm seit Monaten gewesen? Auf jeden Fall keine liebevolle, fürsorgliche oder leidenschaftliche Frau. Aber auch Simon verhielt sich anders. Schon seit Monaten. Seit mehr als nur Monaten, es hatte lange vor Damians Tod begonnen. Zuerst hatte sie es der vielen Arbeit zugeschrieben, er tat einfach zu viel. Er hatte sich viel zu sehr seinem Projekt verschrieben, so sehr, dass es schon zu einer Obsession geworden war. Damals hatte die Entfremdung zwischen ihnen begonnen. Trugen sie also gleichermaßen Schuld an ihrem Scheitern? Und war Schuld überhaupt das richtige Wort dafür?
Jessica ließ sich aufs Sofa fallen und stützte den Kopf in die Hände. Sie musste über so vieles nachdenken …
Marcus' Blick war starr auf den Computer gerichtet, während er seine E-Mails las. Cynthia Stewart, Captain Edmund Stewarts Frau, hatte ein Tagebuch hinterlassen, und sein guter Freund Billy Lane in Sydney hatte es ausfindig gemacht und ihm zwei Seiten daraus exzerpiert und ihm gemailt, die einiges von dem, was er bereits wusste, erklärten und bestätigten.
2. November 1853
Seit Sarahs Verschwinden sind jetzt fünf Tage vergangen. Die kleine Meggie ist ganz durcheinander. Sie will nicht essen, und auch Doktor Bruce macht sich Sorgen um sie. Edmund sagt, dass es keine Neuigkeiten gibt und dass die Soldaten, die nach ihr suchen, nichts gefunden haben. Wie kann je mand einfach so spurlos verschwinden? Edmund sagt, ich solle tapfer sein und auf das Schlimmste vorbereitet.
5. November 1853
Meggie scheint sich Gott sei Dank zu erholen. Maude hat mir berichtet, dass sie heute Morgen ein wenig Porridge und eine halbe Tasse Milch zu sich genommen hat.
Das Kind sieht so schwach aus, und wir wissen nicht, was wir tun sollen, um das arme Ding etwas aufzuheitern. Sie vermisst ihre Mutter sehr, wie wir alle. Sarah ist eine Frau, die sich nicht so leicht geschlagen gibt. Obwohl die Soldaten ihre Suche aufgegeben haben, bin ich fest der Mei nung, dass sie irgendwie überlebt hat und eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft durch die Küchentür herein kommen wird.
8. November 1853
Edmund hat mir erzählt, dass man untersucht hat, wo sich Waugh aufgehalten hatte, nachdem Sarah verschwunden war. Offensichtlich war er mit einer Wunde am Arm im Lazarett eingeliefert worden, die er sich im Holzfällerlager zwei Tage vor Sarahs Verschwinden zugezogen hatte.
Er liegt auch heute noch im Krankenhaus und kämpft mit einer Infektion.
15. November 1853
Heute hat Edmund zugegeben, dass er vermutet, bei Sarahs Verschwinden könne es nicht mit rechten Dingen zugegan gen sein, auch wenn er keine Beweise dafür hat.
Die Befragung der Soldaten in der Kaserne hat nichts ergeben. Falls irgendjemand etwas weiß, dann schweigt er, wohl aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen.
14. Dezember 1853
Es ist wieder passiert. Eine weitere Fehlgeburt. Ich bin au ßer mir vor Trauer, denn es war bereits die fünfte. Edmund und der Doktor sind der Meinung, dass die Sorge um Sarah und die kleine Meggie dafür verantwortlich sind. Doktor Bruce hat uns strengstens davon abgeraten, es erneut zu versuchen, da ich keine weitere Fehlgeburt überstehen wür de. Edmund trägt die Enttäuschung mit männlichem Groß mut.
18. Dezember 1853
Edmund hat sich mit mir ernsthaft und ausführlich unter halten, als wir unseren Tee auf der Veranda einnahmen. Er hat eine großartige Idee. Wir werden Meggie adoptieren. Er hat sie gern, und ich liebe das Kind sehr. Ich habe das Gefühl, dass Sarah, wo immer sie auch sein mag, damit einverstanden wäre.
25. Juni 1854
Heute hat unser Rechtsanwalt formal unser Adoptionsgesuch für Meggie eingereicht. Sarah ist nun schon so lange verschwunden, und es ist eine Erleichterung, nach Sydney zurückkehren zu können. Meggie, die nun Margaret Bridget Stewart heißen wird, ist
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