Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
wandte sich ab und gab vor, ihre Malutensilien auf dem Tisch neben der Staffelei ordnen zu müssen. O Gott, es wäre so eine Erleichterung, ihre Probleme mit irgendjemandem besprechen zu können. Aber nicht mit Marcus, obwohl sie wusste, dass er ein guter Zuhörer war. Ihr Problem war nur, dass sie einander viel zu nahestanden und dass die Gefühle für ihn, die in ihr schlummerten, noch nicht an die Oberfläche kommen durften.
»Du weißt, ich bin, oder war zumindest, Psychologe. Und das ist es, was Psychologen für gewöhnlich tun. Sie hören den Problemen anderer Leute zu, geben ihnen Ratschläge und so«, meinte er, wobei er nicht so locker wie sonst, sondern mit ungewohnter Ernsthaftigkeit sprach.
Sie lächelte ihn kurz an und schüttelte dann den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Noch nicht.«
»Gut«, murmelte er mit einem nonchalanten Achselzucken, während er versuchte, den unerklärlichen Stich in seinem Herzen zu erklären, der sich bemerkbar machte, weil sie ihm ihr Problem nicht mal ein kleines bisschen anvertrauen wollte. »Dann, wann immer du dazu bereit bist.«
»Natürlich.«
Marcus hielt es für angebracht, das Thema zu wechseln, daher sagte er: »Ich schätze, dass nun, da das letzte Gesicht vollendet ist, Sarah wohl bald wieder auftauchen wird. Ihre Geschichte nähert sich dem Höhepunkt, und ich glaube, wir beide haben eine ziemlich gute Vorstellung davon, was geschehen sein könnte.«
»Wir müssen erst noch wissen, was mit Timothy passiert ist. Denn ich vermute, da war irgendetwas.«
»Ich frage Billy Lane, ob er in den Aufzeichnungen über Norfolk in Sydney irgendetwas über ihn finden kann.«
Sie saßen immer noch redend im Wintergarten, als Simon hereinkam und sich zu ihnen setzte. Er schien überrascht, Marcus zu sehen, dann erblickte er das Gemälde. »Verdammt noch mal, noch so eine hässliche Fratze.« Vorwurfsvoll sah er Jessica an. »Wann ist das passiert, und warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich habe es selbst gemalt, heute Morgen, nachdem du zur Arbeit gegangen warst.«
»Ich verstehe. Du hast es gemalt!« Aufmerksam sah er erst Marcus, dann Jessica an. Interessant. Nein, erstaunlich, dass sie zugab, das vierte Gesicht gemalt zu haben, aber nicht die anderen. Warum? Er schwieg einen Moment nachdenklich, bis ihn die Neugier übermannte und er fragte: »Und, Jessica, wer ist er? Und woher wusstest du, was für ein Gesicht du malen musst?«
»Das ist Timothy Cavanagh«, antwortete Marcus an ihrer Stelle. »Jessica hatte einen Traum …«
»Scheiße. Wieder so ein verdammter Traum.« Simon funkelte seine Frau böse an. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst deine Medikamente nehmen, oder?«
»Du hast mir eine Menge gesagt, Simon, manches davon habe ich getan, manches nicht«, entgegnete sie kurz und fast förmlich.
Marcus hob eine Augenbraue, beruhigte sich aber, als er Jessicas Tonfall hörte. Sie war eine Frau, mit der man rechnen musste, wenn es die Lage erforderte. Er hatte noch nie gehört, dass sie mit Simon so kühl sprach, ein sicheres Zeichen für eine Krise in der Ehe der Pearces. Wahrscheinlich war hier ein strategischer Rückzug angesagt.
»Ich muss gehen, ich soll für Nan noch ein paar Sachen vom Supermarkt holen, bevor er schließt.«
»Danke, dass du vorbeigekommen bist, Marcus. Wir sprechen uns bald«, lächelte Jessica, als sie mit ihm zur Tür ging.
»Ja, auf Wiedersehen, Marcus«, rief Simon ihm beiläufig nach. Immer noch starrte er das Gemälde an, in dem er mittlerweile die Quelle all seiner Probleme sah. Hätte er sie nicht nach Norfolk gebracht, dann wäre das erste Gesicht nicht gemalt worden, und wenn Jessica nicht diese Albträume bekommen hätte, wenn Sarah – verdammt sollte sie sein – nicht in ihr Leben getreten wäre, dann wären sie immer noch ein glückliches Paar. Doch jetzt konnten alle verdammten »Wenns« der Welt nicht mehr ändern, was geschehen war. Warum er?, stöhnte er. Warum hatte das Schicksal gerade ihn so unfair behandelt, obwohl er doch fast alles hatte, was er sich je gewünscht hatte? Er hörte Jessica in den Wintergarten zurückkommen und wandte sich zu ihr um.
»Du bist früh zu Hause«, stellte sie fest, als sie die Kaffeetassen einsammelte.
»Ja, ähm, zwei pensionierte Ärzte aus Sydney sind heute in der Klinik gewesen. Sie sind hier wegen irgendeines dämlichen Bowlingwettbewerbs oder so. Ich habe sie durch die Klinik geführt, und sie haben mich zum Essen eingeladen. Ich bin nur gekommen, um zu duschen
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