Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
Sie war allein im Cassell Cottage, seit er vor zwei Tagen seine Sachen abgeholt hatte und mit steinernem Gesicht gegangen war, nicht ohne zuvor noch einige Drohungen auszustoßen.
Während sie einen hellblauen Himmel mit ein paar Federwölkchen malte, musste sie zugeben, dass sie den Gedanken daran, was sie jetzt, nachdem sie buchstäblich frei war, tun würde, ganz bewusst aufgeschoben hatte. Natürlich würde der Scheidungsprozess ungefähr ein Jahr lang dauern. Aber alles in allem war sie jetzt wieder an dem Punkt, an dem sie vor gut zehn Jahren gestanden hatte, eine alleinstehende Frau … die ihre eigenen Entscheidungen treffen musste.
Sie dachte an Max und David, ihre Partner in der Kanzlei in Perth. Sie erwarteten, dass sie Ende Mai zurückkehren würde. Aber wollte sie das? Wollte sie wirklich in derselben Stadt leben wie Simon? Würde es nicht merkwürdig sein, wenn sie sich da über den Weg liefen und er hätte Sue Levinski am Arm? Wollte sie überhaupt noch als Anwältin praktizieren? Ah ja. Das war die Schlüsselfrage.
Ihr Blick wanderte von der Staffelei zur Aussicht aus dem Fenster über die Wiesen und den Ozean. Sie erinnerte sich daran, wie sie Simon einmal gesagt hatte, dass sie diesen Blick, diese Üppigkeit und die Ruhe wahrscheinlich nur schwer würde vergessen können. Ihr Aufenthalt auf Norfolk – wie lange dauerte er jetzt schon an? Vier Monate? – hatte sie Geschmack am ruhigen Leben finden lassen. Vorher hatte das nichts mit dem Leben zu tun gehabt, das sie geführt hatte. Sie stellte fest, dass sie diesen Ort liebte. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, als sie ihren Gedankengang relativierte – trotz der Manifestationen von Sarah und dass sie sie in ihr Geheimnis hineingezogen hatte. Sie vermisste die hellen Lichter von Perth nicht, nicht die vielen Restaurants, die Partys und die Theaterbesuche. Auch das Leben vor Gericht vermisste sie nicht, die Spannung oder die Übelkeit, die sie überfiel, wenn sie vor einem Richter stand und darauf wartete, wie er über einen Fall entschied. Ihre Augenbrauen hoben sich erstaunt, als sie feststellte, dass es ihr wahrscheinlich überhaupt nichts ausmachen würde, wenn sie nie wieder einen Gerichtssaal von innen sehen müsste.
Sie trat von der Staffelei zurück, um ihr Werk zu überprüfen. Es sah jetzt schon gut aus. Ein Seufzer entrang sich ihren Lippen. Es war so schwer, seine eigene Arbeit zu beurteilen. Sie schaute über ihre fertigen Bilder, die an der hinteren Wand des Wintergartens lehnten. Es waren mittlerweile einige, insgesamt fast sieben. Sollte sie versuchen, das eine oder andere davon zu verkaufen? Nan Duncan hatte gemeint, sie seien gut genug dazu. Ist Malen vielleicht das, was ich den Rest meines Lebens tun möchte? , fragte sie sich.
Eine schwierige Frage, wirklich. Sie wusste, dass sie keinen einzigen Tag in ihrem Leben mehr arbeiten musste, wenn sie es nicht wollte, aber es widerstrebte ihr, untätig zu sein. Dazu kam sie viel zu sehr nach ihrem Vater. Sie könnte auf der Insel eine neue Kanzlei eröffnen, überlegte sie, und in ihrer Freizeit malen. Aber gab es bei der geringen Bevölkerungszahl überhaupt genug Arbeit für zwei Rechtsanwälte, egal ob Norfolk angeblich ein Zufluchtsort für Firmen war, die ein gewisses Maß an Einkommensteuer umgehen wollten? Was der Grund war, warum so viele Firmen ihren Sitz auf Norfolk hatten. Das war auch etwas, was sie in den nächsten Wochen einmal ausloten konnte.
Mit diesem Gedanken stellte sie fest, dass sie bereits eine Entscheidung getroffen hatte: Sie wollte auf Norfolk bleiben und für immer hier leben . Der nächste Gedanke ließ sie erröten und den Pinsel mitten im Strich innehalten. Marcus. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie die Augen schloss und sein Bild heraufbeschwor. Ich liebe ihn . Das war der wichtigste Grund, aus dem sie bleiben wollte.
Die Wahrheit dieser Gefühle traf sie mit geradezu biblischer Wucht. Ihre Hand fuhr zu ihrer Kehle und berührte den wild klopfenden Puls, und ihr Körper fühlte sich warm an, als die Anerkennung dieses Eingeständnisses durch ihre Adern schoss. Natürlich! Er war ihr Fels geworden, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, die Grundlage, auf der sie, wenn es gut ging, ihre neue Zukunft aufbauen konnte. Gott, warum hatte sie die Zeichen dafür nicht schon früher erkannt? Sie fühlte sich so wohl, wenn er in der Nähe war, sie passten so gut zueinander, die kleinen Schauer, die sie durchliefen, wenn er sie ansah und
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