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Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Wilding
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in der Hölle ist leichter zu ertragen als die Grausamkeiten des Lebens auf Norfolk.
    Möge Gott mir vergeben
    Timothy
     
    Er wurde neben Dowd in dem Teil des Friedhofs in ungeweihter Erde begraben, der Mördern und Selbstmördern vorbehalten war.
    Mit Timothys Tod war Sarahs Rache vollendet, und ihr langes Warten begann … bis Jessica kam.

21
     
    essica betrachtete die Fotografien, die sie von den Gebäuden der Siedlung in Kingston und an anderen Orten gemacht hatte, um sich ein Motiv für ihr nächstes Bild auszusuchen. Die Bloody Bridge mit ihrer grausigen Geschichte – dort hatten Sträflinge während des Baus eine Wache angegriffen, getötet und seine Leiche in den Fundamenten des Bauwerks versteckt – wäre ein interessantes Thema. Der Kontrast der moosüberwachsenen, handbearbeiteten Steine vor dem Hintergrund eines weichen Wiesenteppichs und hoher dunkler Pinien würde sich gut in Aquarellfarben übertragen lassen.
    Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, bereitete sie das Papier vor und heftete es auf die Staffelei.
    Dann begann sie mit leichten Bleistiftstrichen ihr Bild zu skizzieren.
    Sie ging völlig in ihrer Arbeit auf, und die Konzentration führte dazu, dass sich mögliche Depressionen zerstreuten, die durch den Zerfall ihrer Ehe hätten auftreten können. Wenn sie darüber nachgedacht hätte, hätte sie zugeben müssen, dass sie irgendwie erleichtert war, dass es vorbei war, dass das Lügen, der Schmerz und die Enttäuschung in den langen Wochen der Unentschiedenheit Vergangenheit waren. Unbewusst, aber unaufhörlich hatte sie in den letzten Monaten versucht herauszubekommen, wann es zwischen ihr und Simon angefangen hatte, schiefzulaufen. Die Wurzel ihrer Unzufriedenheit war unscheinbar und heimtückisch. Sie reichte zurück bis in die Zeit, als er sich zum ersten Mal mit den Plänen für seinen Geriatriekomplex befasst hatte.
    Anfangs hatte sie es für eine gute Idee gehalten, bis das Objekt viel zu viel seiner Zeit zu beanspruchen begann. Es gab Treffen mit Architekten, Bauunternehmern, Finanziers, all das. Dennoch hatte sie zu diesem Zeitpunkt nicht viel darüber nachgedacht, weil sie viel zu sehr mit dem neugeborenen Damian beschäftigt gewesen war. Im Rückblick erkannte sie, dass Simon das Projekt außer Kontrolle geraten war. Er war so davon besessen, dass sie und Damian zu Besitztümern degradiert worden waren, denen er beiläufig seine Zuneigung schenkte und für die er nur wenig Interesse zeigte, und auch das nur, wenn er gerade mal daran dachte, was nicht allzu häufig geschehen war.
    Als sie dann ihren Zusammenbruch gehabt hatte, hatte er ihr in seiner eigenen unnachahmlichen Art deutlich gemacht, dass der Zeitpunkt dafür höchst unpassend war und hatte ihr beinahe, wenn auch nicht direkt, vorgeworfen, dass sie absichtlich einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, um seine Pläne zu vereiteln. Jetzt erkannte sie, dass ihn nur sein gedrilltes Gewissen dazu getrieben hatte, sie zur Erholung nach Norfolk zu bringen. Sie war sich sicher, dass seine Entscheidung nicht aus Liebe gefallen war, sondern damit man sah, dass er als liebender Ehemann das Richtige tat. Sie lachte leise auf, als sie daran dachte, dass es für Simon stets sehr wichtig gewesen war, den Anschein zu wahren, etwas, was ihm seine Eltern in seiner Kindheit wahrscheinlich eingeprägt hatten.
    Jessica schüttelte den Kopf, dass ihr das Haar nur so um die Ohren flog. Sie hatte es schwer gehabt in den letzten sechs Monaten, aber jetzt war es gut. Sie war so stark wie vor der Zeit, als Damian von ihnen gegangen war. Sie wusste es, denn sie hätte es nie geschafft, sich von Simon zu lösen, wenn sie noch von ihm abhängig gewesen wäre.
    Doch tief im Innersten trauerte sie auch um etwas, das kostbar, glücklich und erfüllend gewesen war. Jetzt war ihre Ehe nur noch eine weitere Zahl in einer Statistik, und sie überkam gelegentlich ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, weil sie nicht mehr bewusst – oder unbewusst – ständig an Simon denken musste: sich um seine Gefühle sorgen, ihn fragen, was er zum Essen haben wollte, seine Wäsche waschen oder dafür sorgen, dass sein Lieblingswhisky – oder was auch immer – vorrätig war. Von nun an musste sie nur noch an sich selbst denken und an ihre eigene Zukunft, eine Zukunft, die sie ins neue Jahrtausend führen würde.
    Schon der Gedanke daran ließ es ihr eiskalt über den Rücken laufen vor … ja, vor was? Vorfreude, Freude, Erwartung? Wohl etwas von allem.

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