Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
nahm.
»Ich glaube, ich sollte gehen«, meinte sie nicht sehr überzeugend. »Es ist noch hell genug, sodass ich mich mit etwas Sinnvollem beschäftigen könnte.«
Sie sah ihn an und fing einen Blick auf, der so leidenschaftlich war, dass sie seine Bedeutung nicht missverstehen konnte. Seine Intensität ließ ihr Herz einen Schlag aussetzen, und für einen kostbaren Moment stand die Zeit still, als sie die Offenbarung seiner Gefühle bis ins Mark er schütterte. Er liebte sie! Die Worte standen in seinen Augen und zeigten sich in seiner Körpersprache so deutlich, als ob er sie ausgesprochen hätte. Sie sah, wie er einen langen, ausdrucksvollen Seufzer ausstieß und ihr dann behutsam die Hände hinstreckte. Sie überließ ihm ihre eigenen Hände gerne, und er lächelte sie an.
Es bedurfte keiner Worte. Worte hätten diesen unglaublichen Zauber brechen können, das Gefühl, das sie von diesem Moment an aneinander band.
Jessica hatte das nicht erwartet, aber sie hatte gehofft, dass er etwas für sie empfand. Da ihn bis zu dieser Offenbarung seine Professionalität und sein Anstand zurückgehalten hatten, weil sie verheiratet war, hatte sie seine Liebe nicht erkannt. Heute jedoch hatte ihn die Nachricht von ihrer Trennung von allen Hinderungsgründen befreit. Einen Augenblick lang befand sie sich in einer Zwickmühle. Sie hatte nicht beabsichtigt, ihm ihre Liebe zu gestehen. Es war noch zu früh. Die Trennung von Simon hatte sie emotional verletzlich gemacht, doch ein Bedürfnis, das Verlangen, seinem schweigenden Bekenntnis zu antworten, ließ sie ähnlich reagieren. Mit einem langsamen, strahlenden Lächeln brachte sie ihr Verständnis und ihre Liebe zu ihm zum Ausdruck.
Wortlos zog Marcus sie vom Sofa auf seinen Schoß und in seine Arme. Fasziniert beobachtete sie, wie sein Mund ihr immer näher und näher kam, und als sich ihre Lippen berührten, stieg Wärme in ihr auf, die durch ihren Körper pulsierte, bis sie die Liebe und Leidenschaft entzündete, die nur er in ihr auslösen konnte.
Es fühlte sich so herrlich, so wunderbar richtig an zwischen ihnen. Ihre Herzen, Gedanken und Seelen waren im Einklang miteinander. Jessica konnte ihre Gefühle nicht länger verleugnen und wollte es auch gar nicht. Und sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich zum letzten Mal so gefühlt hatte, so lebendig, so dynamisch, so verdammt glücklich. Dieses Gefühl war längst überfällig gewesen.
Atemlos lösten sie sich voneinander und sahen sich in die Augen. Eine Zeit lang wollte keiner die Stimmung durch ein einziges Wort zerstören. Sie genossen den Moment der gemeinsamen Entdeckung.
Er hielt sie so fest, als wolle er sie nie wieder gehen lassen, und sie genoss dieses Gefühl und seine Wärme. Instinktiv wusste sie, dass es zu früh war, irgendwelche Pläne zu machen oder darüber zu reden – sie waren noch nicht dazu bereit. Doch sie hatten etwas Kostbares entdeckt und die Möglichkeit, irgendwann vermutlich zusammenzuleben.
Für den Moment war Jessica zufrieden.
»Jessica!«
Alisons hohes freudiges Quietschen hallte über den relativ ruhigen kleinen Flughafen der Insel, als sie ihren Strohhut schwenkte, nachdem sie ihre Schwester ausgemacht hatte.
Jessica winkte zurück, als die Familie Marcelle mit einem riesigen Berg Gepäck auf einem Wagen auf sie zukam. Freudentränen blinkten in ihren Augen, waren sie doch ihre ganze Familie. Schnell zwinkerte sie sie weg, damit sie sie nicht bemerkten, und lächelte sie breit und einladend an. Innerhalb von Sekunden fand sie sich in einer familiären Umarmung wieder, die für Außenstehende wahrscheinlich eher nach einem Gedränge beim Rugby aussah.
»Du siehst eigentlich ziemlich gut aus«, fand Alison, nachdem sie Jessica kritisch von oben bis unten begutachtet hatte.
»He, Al, lass sie in Ruhe«, schalt Keith sie. »Wir sind noch nicht mal ganz auf dem Boden. Lass uns erst mal zur Ruhe kommen, bevor wir anfangen zu reden.« Er zwinkerte Jessica zu. »Ich warne dich, sie wird alles wissen wollen. Jedes kleinste Detail.«
»Reden, wer will denn hier reden?«, beschwerte sich Andrew mit einem teenagertypischen Schmollen. »Ich will alles sehen, Tourist spielen, Sachen kaufen. Vor allem zollfreie Computerspiele.«
»Du bist ja so ein Philister!«, bemerkte Lisa, Andrews jüngere Schwester, abfällig.
»Sagt wer?« Seinem Gesicht war anzusehen, dass er sich nicht ganz darüber im Klaren war, was ein Philister war, aber sein Instinkt sagte ihm, dass es wohl
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