Das Lied der schwarzen Berge
berufsmäßig neugierig und, wenn sie alles wissen, abweisend. So wurde auch Bonelli von dem Pförtner angehalten und an der Tür festgenagelt.
»Wohin?« fragte der lange, dürre Bosniake. Er hatte einen weißen Kittel an und wirkte wie ein Arzt. Darauf war er besonders stolz, vor allem, wenn Bauern kamen und ihn unwissend mit ›Herr Doktor‹ anredeten. Ein Bauer, der ihn sogar ›Herr Professor‹ nannte, bekam eine Zigarre von ihm … es war der bisherige Höhepunkt seines Lebens.
Um so mehr war er enttäuscht, entsetzt und wütend, daß der weltgewandte Bonelli in ihm den Portier erkannte und ihn anschrie:
»Das geht dich einen Dreck an, du Idiot!«
Der Portier erstarrte. »Raus!« sagte er laut.
Bonelli zog die Augenbrauen zusammen. »Ich bin der Verlobte von Katja Dobor«, meinte er etwas freundlicher.
Wieder musterte ihn der Pförtner, diesmal mit einem diskreten Kopfschütteln. »Du?« sagte er gedehnt. »Ich hätte der Katja einen besseren Geschmack zugetraut.«
»Vielleicht so ein in der Mangel langgezogenes Handtuch wie dich, was?« Bonelli schäumte. Erst der Barbier, jetzt der Idiot von Portier. O Katja, Katja … Bonelli seufzte und beherrschte sich. »Kann ich vorbei?« fragte er. Seine Stimme war rauh vor Erregung.
»Der Chefarzt wird dich hinauswerfen.«
»Ich werde ihn nicht stören … ich will zu Katja.«
»Eben deshalb.« Der Pförtner grinste. »Er liebt nämlich Katja …«
Bonelli schwankte. »Ich werde heimlich die Treppen hinaufsteigen, an seinem Zimmer vorbeirennen.«
»Dann trifft dich der Stationsarzt. Er stellt Katja seit zwei Monaten nach …«
Als ein gebrochener Mann schlich Bonelli wie ein Verbrecher ins Krankenhaus und suchte Katja auf Station III.
Vor einer Glastür blieb er stehen.
In Goldbuchstaben stand darauf: Station III.
Und darunter: Männer-Station.
Bonelli schluchzte und trat die Tür auf. Über den Gang kam ihm Katja entgegen … in einem weißen Kittel, auf den gedauerwellten Locken ein weißes Häubchen, in seidenen Strümpfen und hohen Pumps, mit einem hellrotgeschminkten Mündchen und ein wenig Rouge auf den braunen Wangen.
Carissima – welche Wonne, sie zu sehen. Bonelli hob beide Arme und schrie:
»Madonna! Katja! Süßes! Pietro ist da!«
Was Katja in der Hand trug, sah Bonelli nicht. Er hörte es nur klirren, als es zu Boden fiel, und am Zerschellen vernahm er, daß es etwas Gläsernes gewesen sein mußte. Dann lagen sie sich in den Armen, küßten sich, drückten sich und sagten so viel dumme Worte, daß keiner den anderen verstand, und man sich nur einig war, wenn man sich küßte.
So traf sie der Stationsarzt. Er tippte Pietro auf die Schulter. Bonelli sah zur Seite, bemerkte einen weißen Kittel, dachte, es sei der Portier und schrie: »Geh weg, du Mißgeburt!«
Als er seinen Irrtum bemerkte, war es bereits zu spät. Zwei stämmige Krankenwärter, wie Klötze aus Eichen geschnitzt, faßten ihn und warfen ihn auf die Treppe. Es ging schnell, als habe man es geübt.
»Heute abend im Café Mostar!« schrie Bonelli noch, dann rollte er glücklich die Treppe hinab, vor die Füße des Portiers.
»Chefarzt?« fragte dieser voll Mitleid.
»Stationsarzt!« Bonelli erhob sich und rückte seinen Rock gerade. »Aber sie hat mich geküßt!«
»Katja?«
»Ja.«
»Dann sind Sie wirklich der richtige Bräutigam?«
»Ja.« Bonelli hob stolz seine Brust. »Ich kann für mich in Anspruch nehmen, die schönste Frau Sarajewos zu besitzen.«
Mit stampfenden Schritten verließ er das Krankenhaus. Der Bosniake sah ihm lange nach, wie er durch den Staub der Straße marschierte, von Kennif, dem Barbier, ehrfürchtig gegrüßt wurde und dann im Gewimmel des Marktes und des Bazars verschwand.
»Die Katja«, sagte er. »Es ist doch merkwürdig, daß die schönsten Frauen die blödesten Männer haben!«
Womit er etwas aussprach, was täglich Tausende von Männern denken …
Am Abend trafen sich Katja und Bonelli im Café Mostar. Katja Dobor hatte drei Koffer bei sich und sah sehr unglücklich aus.
»Sie haben mich 'rausgeworfen«, sagte sie. »Sie meinten, sie könnten kein Mädchen beschäftigen, das einen Flegel als Mann hat.«
Bonelli hatte drei Martell getrunken und war sehr mutig. »Ich breche den Ärzten die Knochen!« sagte er selbstbewußt. »Und im übrigen braucht meine zukünftige Frau nicht zu arbeiten! Bonelli hat Geld genug! Wir werden nach Capri ziehen und eine Cafeteria aufmachen. Mit Wein, Musik, Lampions, Gondelfahrten und einer
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