Das Lied der schwarzen Berge
Tag … hunderttausendmal in der Woche … von hundert Hämmern – krach! Und am Abend gibt es eine dünne Suppe und Maisbrot. Gelbes Brot, hart wie der Stein, den man zerklopft. Man muß es in die Suppe tunken, um es essen zu können. Und dann wird es weich, schwammig, klebrig wie Leim und füllt den Mund aus mit einer ekligen gelben Masse.
Straflager …
Die Unteroffiziere grüßten stramm, als Hauptmann Vrana wegging. Sie sahen sich gegenseitig an und riefen dann ihre Gruppen zusammen.
»In drei Tagen habt ihr Jossip, ihr Rindviecher!« schrien sie. »Ihr kommt alle ins Straflager, wenn ihr Jossip nicht findet!«
Auch hier verbreitete die Aussicht auf die Steinbrüche Entsetzen und Verzweiflung. Die Folge der Kopflosigkeit war, daß einer der Geologen, der am Tage den Felsen von der anderen Seite untersuchte, von einem der Soldaten als vermeintlicher Jossip angeschossen wurde.
Hauptmann Vrana tobte. »Bleiben Sie am besten gleich im Lager, Doktor«, sagte er zu dem Arzt, der in Meerholdts Zeichenraum auf einem der Tische die Kugel aus dem Oberschenkel des Geologen herausoperierte. »Wenn das so weitergeht, haben Sie bald alle Hände voll zu tun!«
»Ich würde ihren Helden Platzpatronen geben«, meinte der Arzt sarkastisch.
Hauptmann Vrana winkte wütend ab. »In drei Tagen, wenn sie Jossip nicht gefunden haben, wird es ganz ohne Pulver knallen. Dann scheißen sich hundert Mann aus Angst in die Hosen …«
Rosa war noch immer nicht erwacht. Sie blieb in ihrer tiefen Ohnmacht, auch am zweiten Tag, und bekam Vitamininjektionen und Kreislaufmittel verabreicht.
Abwechselnd wachten Meerholdt, Katja und auch Bonelli am Bett Rosas …
Zweimal waren Fedor und Marina, ihre Eltern, da, und Marina segnete Rosa und betete eine Stunde lang, auf den Knien liegend.
Der Bluterguß in der Hüfte schwoll an, das Hüftgelenk verdickte sich. Der Arzt wiegte den Kopf und kaute an der Unterlippe.
»Wir müssen sie bald nach Sarajewo bringen. Vielleicht müssen wir sie operieren, wenn sie kein steifes Bein behalten soll. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob von dem Hüftknochen etwas abgesplittert ist.«
»Wir fahren sie in vier Tagen zum Röntgen fort.« Meerholdt sagte es so bestimmt, daß der Arzt erstaunt aufblickte.
»Auch dann, wenn sie noch ohne Besinnung ist?«
»Auch dann!«
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Es ist ein verdammt holpriger Weg! Ich würde es noch nicht wagen. Warten wir ab, was in vier Tagen ist …«
Der Bau an der Talsperre ging unterdessen in der bisherigen Reibungslosigkeit weiter. Die beiden Techniker leiteten jetzt den Bau, Vorarbeiter Drago Sopje war zum Bauführer befördert worden und hatte die Kolonnen unter sich. Die Brücken wuchsen weiter, die Straße wurde durch Felssprengungen verbreitert, im Tal, unterhalb der Staumauer, die immer mehr unter den Verschalungen hervorwuchs, wurde das Turbinenhaus errichtet … große Hallen mit gläsernen Wänden und dicken Betonböden, auf denen einmal die rauschenden, sich drehenden Ungetüme stehen würden.
Meerholdt ging nicht mehr aus seiner Konstruktionsbaracke hinaus. Er saß entweder bei Rosa am Bett oder schlief unruhig im Nebenzimmer, aß, was Bonelli ihm vorsetzte, und stärkte sich mit Tokajer und starkem Kaffee.
»Sie sind unvernünftig«, ermahnte ihn der Arzt. »Sie liegen garantiert unter der Erde, wenn Rosa geheilt entlassen wird! Was haben Sie damit gewonnen? Seien Sie doch vernünftig … Sie können das Schicksal nicht durch Asketentum und Drogenfresserei zwingen!«
Am dritten Tage, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, erwachte Rosa aus ihrer tiefen Bewußtlosigkeit. Sie schlug die Augen auf und sah Katja, die neben ihr saß und an einer Decke stickte.
»Katjascha …«, sagte sie leise.
Katja ließ die Decke fallen und sank auf die Knie. Sie nahm die Hände Rosas und küßte sie. »Du bist wach«, stammelte sie. »Du bist zu uns zurückgekommen … O Rosanja … Gott ist doch gnädig …«
Meerholdt stürzte ins Zimmer. Ihm folgten Bonelli, sein Gesicht glänzte. »Mädchen!« rief er laut. »Wir haben gesiegt! Du bist wach! Heute wird der Chianti über die Straßen fließen …«
Der Arzt kam und warf alle aus dem Zimmer. »Raus!« schimpfte er. »Ihr macht sie verrückt mit eurem Geschrei! Still sollt ihr sein!!« Dann hörte er das Herz ab und nickte zufrieden. »Es geht ja wieder, Rosa«, sagte er erfreut. »In ein paar Tagen kommst du nach Sarajewo, und in drei Wochen merkst du nichts mehr von all dem.«
Rosa
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