Das Lied der Sirenen
selbst, daß es wunderschön mit uns beiden war. Ich habe es dir zu verdanken, daß ich das Gefühl habe, alle meine Probleme lägen hinter mir.« Er hoffte, sie würde die unbeabsichtigte Ironie in seinen Worten nicht erkennen.
Aber Angelica war nicht dumm. »Ich denke, davon kannst du ganz sicher ausgehen, Anthony«, sagte sie mit einem sarkastischen Lächeln.
»Du hast mich ganz schön ausgetrickst. Ich war fest davon überzeugt, daß der Mörder ein Mann ist. Ich hätte es besser wissen müssen.«
Mit dem Rücken zu ihm schob Angelica die Kassette in den Camcorder. Dann drehte sie sich um und sagte: »Du hättest mich nie im Leben gefaßt. Und da du nun aus dem Weg bist, wird es auch kein anderer schaffen.«
Tony ignorierte den drohenden Unterton in ihrer Stimme und redete weiter, bemüht darum, die seine warm und unverkrampft klingen zu lassen. »Ich hätte merken müssen, daß du eine Frau bist – die Raffinesse, die Beachtung der Details, die Sorgfalt, mit der du alle Spuren beseitigt hast. Es war dumm von mir, nicht zu kapieren, daß das die Kennzeichen eines weiblichen Geistes sein mußten und nicht die eines männlichen.«
Angelica grinste. »Ihr seid alle gleich, ihr Psychologen.« Sie spuckte das Wort aus, als wäre es eine Obszönität. »Ihr habt keine Phantasie.«
»Ich bin nicht wie die anderen, Angelica. Okay, ich habe diesen einen schweren Fehler gemacht, aber ich wette, ich weiß mehr über dich als jeder von ihnen, weil du mir das Innere deines Geistes offenbart hast. Und das nicht nur durch die Morde. Du hast mir bei unseren Kontakten die wahre Frau gezeigt, die Frau, die viel von Liebe versteht. Die anderen, nehme ich an, haben dich nicht verstanden, stimmt’s? Sie glaubten dir nicht, als du ihnen gesagt hast, daß du einen weiblichen Geist hast, der in einem männlichen Körper gefangen ist. Ich vermute, sie taten so, als ob sie es verstehen würden, sie redeten gönnerhaft und von oben herab mit dir. Aber insgeheim haben sie dich als Monstrosität abgetan, nicht wahr? Glaub mir, ich bin nie auf einen solchen Gedanken gekommen.« Gegen Ende seiner Rede war Tonys Stimme nur noch ein heiseres Krächzen; sein Mund und seine Kehle waren in einer Mischung aus Angst und den Nachwirkungen des Chloroforms völlig ausgetrocknet. Der angestiegene Adrenalinspiegel in seinem Blut bewirkte jedoch zumindest eine Milderung der Schmerzen.
»Was weißt du schon über mich?« fragte sie barsch, und die Qual auf ihrem Gesicht stand in krassem Gegensatz zu der koketten Pose, die sie eingenommen hatte.
»Ich brauche was zu trinken, wenn wir noch weiter miteinander reden wollen«, sagte Tony, in der Hoffnung, daß ihr Narzismus danach lechzte, ihn von ihren Großtaten sprechen zu hören, daß es sie drängte, seine Version der Beurteilung ihrer Persönlichkeit zu hören. Wenn er eine Chance haben wollte, mit dem Leben davonzukommen, mußte er eine Beziehung zu ihr aufbauen. Ein Getränk, von ihr gebracht, würde den ersten Stein aus der Mauer brechen. Je mehr er sie dazu bringen konnte, in ihm ein Individuum zu sehen und keine abzuhakende Nummer, um so besser waren seine Aussichten.
Angelica sah ihn finster und argwöhnisch an. Dann warf sie den Kopf zurück, wandte sich um und ging zu einem Wasserhahn, der aus der Wand ragte. Sie drehte ihn auf, während sie sich nach einem Trinkgefäß umsah. »Ich hole ein Glas«, murmelte sie und stieg mit klappernden Absätzen die Treppe hinauf.
Tony fühlte sich sehr erleichtert, daß er diesen kleinen Sieg errungen hatte. Angelica kam nach höchstens dreißig Sekunden zurück. Über diesem Raum muß die Küche liegen, folgerte Tony. Sie ging wieder zum Wasserhahn, sich geschickt auf den hohen Absätzen bewegend, ganz gleichmäßig und feminin. Das war interessant, denn unter dem Streß des Kidnappens und Mordens war sie offensichtlich in einen maskulineren Gang zurückverfallen. Dies war jedenfalls die einzige Erklärung dafür, daß nach Terry Hardings Überzeugung ein Mann von Damien Connollys Haus weggefahren war.
Angelica füllte das Glas und kam damit vorsichtig auf Tony zu. Sie griff mit der linken Hand in sein Haar, zog seinen Kopf zurück, was ihm stechende Schmerzen verursachte, und träufelte dann das kalte Wasser in seinen Mund. Es lief zwar ebensoviel über sein Kinn wie in seine Kehle, aber die Erleichterung war dennoch groß. »Danke«, keuchte er, als sie das Glas wegnahm.
»Man soll stets freundlich zu seinen Gästen sein«, sagte sie
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