Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
vor Jahren den Rücken zugekehrt hatte, konnte er dem antrainierten Prozedere nicht entkommen; jeder einzelne Abschnitt des laufenden Vorgangs mußte festgehalten werden. Der Perspektive, daß diese Morduntersuchungen das Rohmaterial für wissenschaftliche Artikel oder gar ein Buch abgaben, konnte Tony nicht widerstehen.
    »Ich bin ein Kannibale«, sagte er zu dem Efeu. »Manchmal ekle ich mich vor mir selbst.« Er schob die Zeitungsausschnitte zusammen und steckte sie in eine für Presseartikel vorgesehene Mappe. Dann öffnete er die Pappkartons und nahm die darin aufgestapelten Dokumentenmappen heraus. Carol hatte sie alle ordentlich beschriftet, mit fließenden Großbuchstaben, wie Tony feststellte – eine Frau, der das geschriebene Wort Freude bereitete.
    Für jedes Opfer war ein pathologischer Befund und ein vorläufiger gerichtsmedizinischer Abschlußbericht vorhanden. Die Zeugenaussagen waren in drei Gruppen unterteilt: »Hintergrund (Opfer)«, »Augenzeuge (Fundort der Leiche)«, »Sonstige«. Er fischte sich als erste die Mappe »Hintergrund (Opfer)« heraus und rollte seinen Schreibtischstuhl hinüber zu dem Tisch, auf dem sein Personal Computer stand. Als er nach Bradfield gekommen war, hatte ihm die Universität ein Terminal mit Zugriff auf das universitätseigene Informationssystem angeboten, aber er hatte abgelehnt. Er wollte keine Zeit damit verschwenden, neue Verfahrensweisen zu lernen, war er doch so vertraut mit seinem eigenen PC . Jetzt war er froh, daß er der Liste der Plackerei, die ihm die Nacht hindurch bevorstand, nicht auch noch umständliche Eingaben zur Datensicherheit anfügen mußte.
    Tony rief die wohlbekannte Software ab, die es ihm erlauben würde, Vergleiche zwischen den Opfern anzustellen, und begann dann mit der Dateneingabe.
     
    Fünf Minuten in der neuen Unterkunft in der Scargill Street reichten aus, um Carol wünschen zu lassen, sie wäre direkt nach Hause gegangen. Um zu dem Zimmer zu kommen, das man ihr für die Dauer der Ermittlungen zugewiesen hatte, mußte sie die ganze Länge des Großraumbüros der unteren Chargen durchqueren. Exemplare der Abendzeitung lagen fast auf jedem Schreibtisch, verhöhnten sie mit ihren fetten schwarzen Schlagzeilen. Bob Stansfield stand mit einigen Constables in der Mitte des Raums, und als Carol vorbeiging, sprach er sie an. »Der gute Doktor hat die Lösung sicher schon aus dem Ärmel geschüttelt, oder?«
    »Nach dem zu urteilen, was ich heute von dem guten Doktor gesehen habe, Bob, könnte er einigen unserer Bosse zumindest ein paar Lektionen zum Thema Überstunden erteilen«, antwortete Carol und wünschte sich im selben Moment, ihr wäre eine schärfere Erwiderung eingefallen. Zweifellos würde sie später unter der Dusche damit keine Schwierigkeiten haben. Doch vielleicht war es auch ganz gut so. Die Kluft zwischen den Jungs und ihr mußte nicht noch größer werden, als sie es durch den Aufstieg in ihren Dienstrang schon geworden war. Sie blieb stehen und lächelte. »Gibt’s was Neues?« fragte sie.
    Stansfield sagte zu seinen Mitarbeitern: »Okay, verfolgt das mal weiter«, dann trat er zu Carol und antwortete ihr: »Nichts Wichtiges. Die Leute vom HOLMES -Team arbeiten sich die Finger wund, geben alles, was wir bisher zusammengetragen haben, in den Computer ein und prüfen, ob da irgendwelche Wechselbeziehungen sind. Cross hat angeordnet, noch mal sämtliche alten Spuren unter die Lupe zu nehmen. Er ist überzeugt, daß eine von ihnen zum Täter führt.«
    Carol schüttelte den Kopf. »Reine Zeitverschwendung.«
    »Du sagst es. Der Killerbastard wird auf diese Weise bestimmt nicht Gestalt annehmen, darauf wette ich mein letztes Hemd. Kevin wird heute nacht mit seinem Team mal was anderes ausprobieren«, teilte er ihr dann mit, nahm die letzte Zigarette aus seiner Schachtel und warf die leere Packung mit einem Ausdruck des Ekels auf dem Gesicht in einen Papierkorb. »Wenn wir nicht bald einen Durchbruch schaffen, muß ich mich um eine Gehaltserhöhung bemühen, um meinen verdammten Zigarettenkonsum bezahlen zu können.«
    »Und ich trinke so viel Kaffee, daß ich nur noch ein Nervenbündel bin«, erwiderte Carol. »Also, was ist das für eine neue Idee von Kevin?« Mit ruhiger Freundlichkeit schaffst du es, dachte sie. Erst eine persönliche Beziehung aufbauen, dann die Fragen stellen. Ist schon komisch, wie das Herausholen von Informationen aus Kollegen denselben Regeln folgt wie das Verhör von Verdächtigen.
    »Er läßt ein

Weitere Kostenlose Bücher