Das Lied der Sirenen
Team aus verdeckten Ermittlern in der Schwulenszene ausschwärmen«, sagte Stansfield verächtlich. »Es konzentriert sich auf die Clubs und Pubs, die im Ruf stehen, von Sadomasochisten frequentiert zu werden. Sie sind alle heute abend losgezogen, um sich bei Motorradrockern Lederhosen zu organisieren.«
»Na ja, vielleicht ist es einen Versuch wert«, entgegnete Carol.
»Ich will nur hoffen, daß Kevin da nicht einen Haufen von heimlichen Schwulen losschickt, wie wir ja offensichtlich in Damien Connolly einen hatten. Was wir im Moment überhaupt nicht gebrauchen können, sind schwule Kriminalbeamte, die wir als Leichen mit den eigenen Handschellen um die Gelenke auffinden.«
Carol lehnte es ab, diese Bemerkung zu kommentieren, und machte sich auf den Weg in ihr Büro. Sie wollte gerade hineingehen, als Cross aus dem Nebenzimmer rief: »Inspector Jordan? Kommen Sie mal zu mir.«
Carol schloß die Augen und zählte bis drei. »Sofort, Sir«, rief sie zurück und machte auf dem Absatz kehrt. Er war erst drei Tage in diesem behelfsmäßig eingerichteten Büro, aber er hatte ihm bereits seinen persönlichen Stempel aufgedrückt, wie ein Kater, der sein Territorium mit seinem Urin markiert. Es stank scheußlich nach Zigarettenrauch. In halbvoll mit Kaffee gefüllten Pappbechern, die nach irgendwelchen strategischen Gesichtspunkten auf der Fensterbank und dem Schreibtisch verteilt waren, schwammen Zigarettenstummel. Und ein Girlie-Kalender hing an der Wand, ein Beweis dafür, daß der Sexismus in der Werbeindustrie ungebrochen in voller Blüte stand. Hatten diese Leute
immer noch nicht
realisiert, daß es die Frauen waren, die in den Supermärkten entschieden, welche Wodka-Marke gekauft wurde?
Sie ließ die Tür offen, damit frische Luft ins Zimmer kam, und stellte sich vor Cross’ Schreibtisch. »Sir?«
»Was hat der Wunderknabe denn nun rausgefunden?«
»Es ist noch ein bißchen früh für eine Beurteilung, Sir«, antwortete sie freundlich. »Er muß sich erst mal durch all die Berichte arbeiten, die ich für ihn kopiert habe.«
»O ja, ich hatte vergessen, daß er ein verdammter
Professor
ist«, sagte Cross, und der Titel kam besonders verächtlich heraus.
»Alles muß schriftlich gemacht werden, wie? Kevin hat im Connolly-Fall was entdeckt. Sie sollten sich mit ihm in Verbindung setzen. Hat es sonst noch was gegeben, Inspector?« fragte er herausfordernd, als ob sie sich ihm aufgedrängt hätte.
»Dr.Hill hat einen Vorschlag im Zusammenhang mit den Brandmalen auf Connollys Körper gemacht, Sir. Er hat mich gefragt, ob wir jemanden im HOLMES -Team haben, der eine Computeranalyse der Muster durchführen kann.«
»Was zum Teufel ist eine Computeranalyse der Muster?« fauchte Cross und warf seinen Zigarettenstummel in einen Kaffeebecher.
»Es ist, glaube ich …«
»Egal, egal«, unterbrach Cross sie. »Kriegen Sie raus, ob irgend jemand weiß, was verdammt noch mal damit gemeint ist.«
»Jawohl, Sir. Oh, noch eine Frage, Sir. Wenn wir hier niemanden haben, könnte das dann mein Bruder machen? Er ist Computerfachmann.«
Cross starrte sie an, und sein Gesichtsausdruck war ausnahmsweise einmal nicht lesbar. Als er reagierte, war er die Leutseligkeit in Person. »Ja, in Ordnung. Mr.Brandon hat Ihnen ja in jeder Hinsicht grünes Licht gegeben.«
So klingt jemand, der dir die Verantwortung zuschieben will, dachte Carol auf dem Weg die Treppe hinunter zum HOLMES -Zentrum. Ein fünfminütiges Gespräch mit dem gestreßten Dave Woolcott bestätigte, was sie von vornherein vermutet hatte. Das HOLMES -Team hatte weder die Software noch die Fachkenntnisse, die von Tony gewünschte Analyse durchzuführen. Als sie auf der Suche nach Kevin Matthews zur Kantine ging, quälte sie der Gedanke, ob Michael diese Arbeit auch wirklich für sich behalten würde. Über technische Computerentwicklungen zu schweigen, war etwas ganz anderes, als dem Drang zum Plaudern zu widerstehen, wenn es um eine aufsehenerregende Morduntersuchung ging. Sollte er sie diesbezüglich im Stich lassen, würde sie einer weiteren Karriere Lebewohl sagen können und den Rest ihrer Tage an einem Schreibtisch in der Personalabteilung verbringen.
Kevin saß allein, über eine Kaffeetasse und einen Teller mit den Resten eines Fertiggerichts gebeugt, an einem Tisch. Carol zog den Stuhl ihm gegenüber hervor. »Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
»Herzlich willkommen«, sagte Kevin. Er schaute hoch, sah sie mit einem müden Grinsen an und strich
Weitere Kostenlose Bücher