Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)
dennoch, sich umzuhören, möglichst schnell, umgehend, schon bevor wir kämen.
Wir waren uns einig, ein Team, aber dann erhielt Alex einen Anruf aus Australien, der ihn wieder in Herrn Professor Hinrichs zurückverwandelte. Er müsse zurück, dringend, etwas mit seinem Projekt drohe schiefzugehen, und so begleitete ich ihn am nächsten Abend nach Tegel zum Flughafen, und als wir dort aus dem Taxi stiegen, kam es mir vor, als hätten wir uns gar nicht vom Flughafen fortbewegt, und auch unsere Verbundenheit der letzten Tage hätte es nie gegeben. Doch zugleich war ich froh, bald wieder allein zu sein. Ich wollte schlafen, endlich schlafen und wenigstens für ein paar Stunden alle Fragen vergessen – die über die Vergangenheit ebenso wie die über meine Zukunft. Nur mit Piet wollte ich noch sprechen, bevor ich ins Bett kriechen würde, mich beruhigen lassen von ihm, diese nagende Angst loswerden, diese Angst, was vor seinem Unfall mit Ivo geschehen war.
Es war bereits Mitternacht, als ich am Atelier ankam, doch es brannte noch Licht und Piet selbst öffnete mir die Tür. Er war allein und sah blass aus, hatte dunkle Schatten unter den Augen, sehr vorsichtig nahmen wir uns in die Arme.
Ich setzte mich auf meinen Stammplatz am Fenster, neben das Schrottteil, das Wolle mit unzähligen Muttern und Schrauben bestückt hatte. Ich strich mit der Hand darüber, dachte an den Rückenpanzer eines riesigen, silbern glänzenden Käfers, und dass er nicht würde fliegen können, mit nur einem Flügel.
»War Ivo glücklich, Piet? War er erfolgreich?«
»Tja.« Piet drehte sich eine Zigarette, steckte sie sich hinters Ohr.
»Er hatte Geldsorgen, oder? Probleme mit seiner Galerie.«
»Ja.«
So selbstverständlich klang das. Piet wusch seinen Pinsel aus. Gründlich. Der Geruch von Terpentin und Farbpigmenten. Ivos Geruch. Kurz, intensiv.
»Er hat nie mit mir drüber gesprochen, Piet. Natürlich, das musste er nicht. Aber ich hätte doch –«
»Was denn Rixa? Etwas merken müssen?« Piet schüttelte den Kopf. »Ich würde das nicht überbewerten. Es war nicht so wichtig, nur eine Phase.«
»Aber du hast es gewusst.«
»Du kennst das doch selbst, Rixa. Das freie Leben. Mal ist man der Star, dann wieder ganz unten.«
»Du weichst mir aus. Das sind doch Allgemeinplätze.«
»Nein, ganz und gar nicht. Das ist in unserem Metier nun mal der Alltag.«
»Ivo war also unten, meinst du.«
»Er hatte jedenfalls keinen sehr guten Lauf zum Schluss, ja.« Piet tastete nach seiner Zigarette.
»Und was genau soll das bitte schön heißen?«
»Seine Bilder verkauften sich nicht. Der Galerist, der ihn erst mit großem Bohei zu sich geholt hatte, forderte plötzlich einen ganz anderen Stil von ihm. Aber Ivo kam damit nicht weiter, nichts schien ihm gut genug, deshalb war er ja dann so besessen von dieser Idee einer Hyper-Realismus-Serie über Mecklenburg …«
Ich zog die Beine hoch, schlang meine Arme um die Knie. Mir war kalt und ich schwitzte, irgendwo in meiner Brust und in meiner Kehle lauerte etwas Dumpfes, Schwarzes, das wehtat.
Piet seufzte und trat einen Schritt von seinem Bild zurück. Sah mich an, sein Bild, dann wieder mich, suchte nach Worten.
»Manchmal denke ich, Ivo hat gewusst, dass ihm nicht so viel Zeit auf der Welt blieb. Er kam mir oft so vor, als hätte er alles, wirklich alles in jeden einzelnen Tag zu pressen versucht, zwei oder drei Leben zu leben, wie im Parallelschnitt.«
»Du meinst, er war ausgebrannt?«
»Könnte man wohl so sagen.«
»Wie nah wart ihr euch eigentlich wirklich, Piet?«
»Du meinst, ob wir mal was miteinander hatten, weil ich schwul bin? Dein Bruder war hetero, hundertprozentig.«
»Ich meinte Nähe, nicht Sex.«
»Wir waren Freunde. Kollegen. Er fehlt mir noch immer.«
Piet kniff die Augen zusammen und griff nach einem Haarpinsel, fixierte sein halb fertiges Bild, begann wieder zu malen. Anders als Ivo, bedächtig und stumm.
»Meinst du, er hat sich umgebracht?«
»Nein.«
»Wie kannst du dir sicher sein?«
Piet ließ den Pinsel wieder sinken. »Er hätte was gesagt, oder? Er war doch nicht der Typ, der was in sich reinfraß.«
Hätte. Vielleicht. Und vielleicht auch nicht. Meine Zähne klapperten, Schweiß lief mir über die Stirn, ich wischte ihn weg. Meine Haut schien zu glühen.
»He, Rixa, was ist mit dir?«
»Mir ist nur –.« Ich machte mich an meinem Schal zu schaffen, merkte, dass meine Finger mir nicht gehorchten.
»Du musst ins Bett, du wirst krank, ich ruf
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