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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Er würde mir diese Freiheitsberaubung vermutlich nie verzeihen und sich selbst nicht, dass er sich von mir hatte austricksen lassen.
    »Ich habe zwei Tage frei, ich könnte dir beim Umzug helfen«, sagte Lorenz.
    Ich knallte die Tür des Transit wieder zu.
    »Was soll das jetzt werden, Lorenz, der Prinz auf dem weißen Pferd?«
    »Und wenn es so wäre?«
    Unser Demoband, unsere Musik, unser Plan einer gemeinsamen Tour, er und ich zusammen auf der Bühne. Ich hatte vergessen, dass ich das tatsächlich gewollt, ja darauf gehofft und gebaut hatte. Vergessen, verdrängt, nicht wahrhaben wollen, was auch immer. Gestern hatte ich eine junge Musikstudentin aus Lettland glücklich gemacht, indem ich ihr mein Klavier schenkte. Vielleicht war das ein Fehler gewesen, vielleicht hätte ich daran festhalten sollen, wie auch an den Möbeln meiner Mutter und an Lorenz.
    »Die wollten Jazz, Rixa, reinen Jazz, der Pianist, den die verpflichtet haben, hat –.«
    »Reiner Jazz ist nicht das, was auf unserem Demoband war.«
    »Eben, genau und deshalb …«
    »Du hast ihm das gar nicht erst vorgespielt!«
    »Es hätte keinen Sinn gehabt, bitte glaub mir.«
    »Ist ja auch egal, ist vorbei und erledigt.«
    »Also trinken wir jetzt verdammt noch mal einen Kaffee?«
    Ich gab nach, nahm ihn mit nach oben in meine halb leere Küche, wo ich zwei Beutel Pfefferminztee aufbrühte, die ihr Verfallsdatum schon um ein paar Jahre überschritten hatten.
    »Bitte sehr.« Ich deutete auf die Stühle, die ich wie so vieles andere nicht nach Sellin mitnehmen würde, lehnte mich selbst an die Spüle. Morgen würden die Entrümpler, die soeben die Wohnung meiner Mutter leer räumten, auch hier aktiv werden. Dann war März, Frühling, auch wenn es nicht danach aussah. Lorenz zögerte, setzte sich dann doch, sprang wieder auf, trat ans Fenster.
    »Manchmal klettern ein paar Ratten auf den Mülleimern rum, sonst ist da nicht viel mit schöner Aussicht.«
    »Und deshalb ziehst du aufs Land?«
    »Warum hast du mich nicht angerufen, Lorenz?«
    »Das habe ich doch.«
    »Ja, Tage später, als der Vertrag schon unterschrieben war.«
    »Du weißt doch, wie das ist auf dem Schiff. Ständig ist Hektik, und der Empfang auf See …«
    »Blablabla.«
    Er drehte sich wieder herum, suchte nach Worten, entschied sich dann für das, was ich für die Wahrheit hielt.
    »Ich weiß, du tourst schon seit Jahren auf der Marina, Rixa. Aber ich kann das nicht, nicht rund ums Jahr.«
    Und schon gar nicht mit Unterhaltungsmusik. Das sagte er nicht, brauchte er nicht zu sagen.
    »Ich war feige, okay? Ich dachte, ich kann dir nicht auch noch eröffnen, dass unsere Pläne gescheitert sind, wenn gerade erst deine Mutter –.«
    Er brach ab und betrachtete die Wand, die ich beim Einzug aus irgendeinem schon längst nicht mehr nachvollziehbaren Impuls dunkellila gestrichen hatte, die Flecken darauf, den staubigen, nie benutzten Ölofen, konzentrierte seinen Blick schließlich auf mein altes Barpianistinwerbeplakat, das an einem der letzten Kartons lehnte, die ich noch in den Transit laden wollte.
    »Da siehst du ganz anders aus.«
    »Jünger halt. Und besser geschminkt.«
    Er nickte, zögerte, schüttelte den Kopf, ging vor dem Plakat in die Hocke. »Nein, das ist es nicht. Es ist was in deinen Augen, ich weiß nicht.«
    »Mein Bruder war da noch nicht sehr lange tot.«
    »Dein Bruder? Ich denke, der ist Fischprofessor in Australien?«
    »Alex, der ältere. Aber wir waren drei.«
    Ich trank einen Schluck Pfefferminztee. Er schmeckte nach nichts.
    »Ivo ist vor zwölf Jahren gestorben.«
    Sechs Worte nur, sechs simple Worte. Ich sah den Schock in Lorenz’ Gesicht. Meinen eigenen, seinen. Was wäre geschehen, wenn ich ihm schon früher von Ivo erzählt hätte? Nachts auf dem Oberdeck oder nach einer Liebesnacht oder wenn wir zusammen improvisierten? Vielleicht hätten wir unser Demoband dann ganz anders eingespielt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht hätte er auch überhaupt nichts verstanden. Ein Bruder, der seit zwölf Jahren tot ist – das ist keine Entschuldigung für ein verkorkstes Leben.
    Lorenz fragte nicht nach, schien zu spüren, dass es keinen Sinn hatte, mich zu bedrängen, so wie damals am Meer, an unserem ersten Abend.
    »Es war ein Autounfall. Fast an derselben Stelle, an der nun auch meine Mutter verunglückt ist. Vielleicht war es Selbstmord, das ist nicht mehr zu klären.«
    Ich schüttete den Tee in den Ausguss und stopfte die restlichen Teebeutel in einen Müllsack. Auf

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