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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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verbarg, der jedem Japaner die Sprache verschlagen hätte.
    Der Raum, in dem wir schließlich landeten, war kein Büro, sondern Monis privates Wohnzimmer. Weiße Rattanmöbel vor pfirsichfarbenen Wänden, eine antike Anrichte aus dunklem Holz, ein schlammiger Bach mit krummen Kopfweiden vor dem Fenster. In dem gigantischen Flachbildfernseher ereiferten sich Privat-TV-Kunstgeschöpfe unter Aufsicht einer blondierten Moderatorin über den Nutzen von Internet-Partnerbörsen. Was genau der Knackpunkt ihrer Diskussion war, konnte ich nicht herausfinden, da meine Gastgeberin sie mit einem routinierten Druck auf die Fernbedienung ins Nirwana schickte.
    »So, also, herzlich willkommen hier bei uns in Sellin.« Sie platzierte ein Stück Apfelkuchen vor mich sowie einen mit rosaroten Rosen verzierten Henkelbecher Milchkaffee, setzte sich mir gegenüber aufs Sofa, gab einen großzügigen Löffel Schlagsahne neben ihren Kuchen und, nach einem fragenden Blick, auch neben meinen.
    Ann Millner, das Gutshaus, meine Mutter, Amalie – ich hatte so viele Fragen, wusste nicht, wo ich anfangen sollte, ob überhaupt jetzt oder lieber später.
    »Das Pfarrhaus …«
    »Es ist geheizt drüben und hier ist der neue Schlüssel.«
    »Danke, vielen Dank.«
    Ich schob mir einen Bissen Apfelkuchen in den Mund, erstarrte. Der Geschmack aller Kindergeburtstage und Herbstsonntage explodierte an meinem Gaumen, das Rezept meiner Großmutter in perfekter Vollendung.
    »Genau so hat deine Mutter auch reagiert, als ich ihr diesen Kuchen gebacken habe«, sagte Moni.
    »Wie, reagiert?«
    »So erstaunt, ja fast wie vom Donner gerührt. Dabei ist es doch ganz einfach. Meine Oma hat das Rezept von deiner bekommen. ›Pfarrfrau Elises Apfeltraum‹ hieß der bei uns immer.«
    Etwas, das blieb, einfach hartnäckig weiterlebte. War es das, was mir plötzlich die Kehle zuschnürte, oder Kuchen und Sahne auf nüchternen Magen?
    »Und was hat meine Mutter zu diesem Kuchen gesagt?« Meine Stimme klang rau.
    »Ach, nicht viel. Sie war ja so eine Stille.« Moni lächelte. »Gelobt hat sie ihn natürlich. Er würde genauso schmecken wie in ihrer Kindheit.«
    In den Zuckerguss muss ein Schuss
Rum, Ricki, unbedingt. Und die Äpfel müssen in hauchdünne Scheiben
geschnittene Boskop sein oder noch besser Kaiser Wilhelm, aber die
gibt es heute ja leider nur noch in ein paar
unbewirtschafteten, uralten Gärten, weil sie der EU-Norm nicht entsprechen,
was für ein Irrsinn.
    Moni lächelte noch immer. »Sie war bestimmt stolz auf dich. Meine Kinder, die sehen die ganze Welt, hat sie immer gesagt.«
    »Tatsächlich?«
    Moni nickte und warf einen schnellen, prüfenden Blick auf ihre Fingernägel, die heute türkis schillerten, wie das Make-up ihrer Augen. Davon abgesehen trug sie Weiß, einen Kittel und eine Pluderhose. Wahrscheinlich war das ihr Arbeitsoutfit.
    »Ich wollte auch immer weg von hier.« Sie lächelte noch breiter. »Ich wollte Maskenbildnerin sein, am Theater. Ich hatte es auch schon geschafft, zwei Jahre an der Oper in Dresden. Aber dann ist meine Mutter gestorben, und mit Omas Gedächtnis wurde es immer schlimmer…«
    Geplatzte Träume, eine weitere Variation. Was sagte man dazu?
    »Tut mir leid.«
    »Ist schon okay, außer dass ich zu viel esse und Fernsehen gucke, wenn ich keine Kundinnen habe.«
    Hatte sie überhaupt welche? Wer in diesem Kaff hatte genug Geld, um es in künstliche Nägel und Lidschatten zu investieren? Aber möglicherweise blieb hier nur das: ein bisschen Farbe und Illusion, was wusste ich schon?
    »Besser als mein Bruder, der hockt in Rostock und hat nach der Wende das Saufen angefangen.«
    »Mmh.«
    »Das interessiert dich natürlich alles überhaupt nicht.«
    »Nein, es ist nur – ich bin ziemlich k. o. von der Fahrt, und im Auto sitzt meine Katze und will dringend aus ihrem Käfig.«
    »Natürlich, klar.«
    Wir aßen synchron, kratzten denselben Rhythmus auf unsere Teller wie ein altes Ehepaar, und als wir das bemerkten, mussten wir beide lachen.
    »Also, Rixa, wenn ich dir drüben mit irgendetwas helfen kann …«
    »Diese Amerikanerin, Ann Millner …«
    »Die war nicht von hier, ganz sicher nicht. Das war auch keine Deutsche.«
    »Und wieso hat sie das Pfarrhaus gekauft?«
    »Sie war wohl beruflich viel in der Welt unterwegs und fand es schön hier.«
    »Aber sie ist hier nie eingezogen?«
    »Nein, und das ist eigentlich ziemlich komisch, denn sie hat einiges in die Sanierung investiert.«
    »Und meine Mutter – wie haben die

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