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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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es gekommen. Auch unser guter Martin Luther hatte ja seinerzeit schon große Vorbehalte gegen das Judentum geäußert, aber was dieser Tage geschieht, das hätte er sich niemals träumen lassen.«
    »Das Alte Testament abschaffen – Theodor würde einen solchen Frevel niemals mittragen, Hermann!«
    »Das ist aber, was seine feinen Parteigenossen wünschen. Und ihren größenwahnsinnigen Führer wollen sie sogar ins Glaubensbekenntnis mit einschließen.«
    »Psst, nicht so laut, die Leute kennen mich hier!«
    Die Leute, die Leute! Wie sieht das überhaupt aus, wenn sie, die Frau Pfarrer, hier am Arm eines Fremden durch Boltenhagen flaniert? Und Theodor, dem wird das auch nicht gefallen.
    »Entschuldige bitte, Elise. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen«, sagt Hermann leiser. »Aber wes das Herz voll ist – sie war einfach überwältigend, diese Zusammenkunft in Barmen und das gemeinsame Bekenntnis zu unserem Glauben. Man spricht ja nicht mehr mit vielen so offen in diesen Tagen.«
    Drei SA-Männer überholen sie, im militärischen Gleichschritt, wie um Hermanns Worte zu bekräftigen. Er räuspert sich, fasst Elises Arm unwillkürlich fester. »Verzeih, liebe Cousine. Da falle ich gleich mit der Tür ins Haus, dabei habe ich dir noch nicht einmal die Grüße deiner Mutter ausgerichtet und gefragt, wie es euch geht.«
    »Oh, gut geht es uns hier in Klütz, Hermann, gut!«
    Jetzt ist es nicht mehr so leicht, das Glück, auch als sie den Strand erreichen, auf den sie sich so gefreut hatte. Elise hält inne, betrachtet das Gewimmel aus Strandkörben, Sandburgen, Badewagen, die glücklichen Kinder, die plaudernden Großen. Auch hier haben sich zu den bunten Wimpeln Hakenkreuzfahnen gesellt, auf einmal nimmt sie das wahr. Seit wann ist das so und wie muss das wohl auf die jüdischen Familien wirken, die hier die Ferien verbringen? Oder kommen sie gar nicht mehr her, dürfen sie auch das nicht?
    »Da drüben ist Theodor mit den Kindern.«
    »Ja, das sehe ich. Und auch meine Amalie, wie ist sie gewachsen!«
    Muscheln zersplittern unter ihren Schritten, als sie über den Sand laufen. In der See schwappt Seetang. Möwen kreischen. Zwei Kinder pieken mit Stöcken nach einer Qualle.
    »Vorsicht, Elise.« Hermann stoppt ihren Lauf. Eine Frau ist ihnen in den Weg getreten, unabsichtlich offenbar, ohne sie überhaupt zu bemerken.
    Nereide, die Meerjungfrau, denkt Elise, wenn es sie gäbe, so sähe sie aus. Aber diese hier ist aus Fleisch und Blut, ganz eindeutig. Wenn auch ihr seidenes Abendkleid viel zu fein für den Strand ist. Grau schimmert es, nein silbern, wie ihre Augen, die noch immer das Meer absuchen, ohne die Umgebung wahrzunehmen, als würde diese Frau sich nach etwas sehnen, das doch unerreichbar ist, weit fort, eine Beute der Gezeiten.
    »Weißt du noch damals im Gewandhaus, der Nöck?«, fragt Elise leise und bemerkt im selben Augenblick, dass die Dame im Abendkleid keine Schuhe und Strümpfe anhat, sondern die bloßen Füße in den Sand gräbt, vielleicht ist sie ja doch eine Meerjungfrau, oder eine Fata Morgana.
    »Wie könnte ich das je vergessen, Elise«, sagt Hermann in ihr Ohr. »Und wie gut hätte es Amalie dort gefallen, vielleicht kann sie mich ja einmal besuchen, und dann kann ich ihr das zeigen.«
    »Sie ist aber ein rechter Wildfang, deine Patentochter, schau nur, da, jetzt hat sie uns entdeckt, und auch Theodor winkt uns.«
    Konversation. Höfliches Geplauder. Nicht das, was sie eigentlich erhofft hatte von diesem Tag, doch es hilft ihnen allen den Nachmittag zu überstehen, das Teetrinken, das Konzert – Mozarts
Kleine Nachtmusik
wird gegeben –, und als sie auf dem Weg zu Hermanns Hotel sind, fallen die beiden Studienfreunde schließlich zurück, um allein miteinander zu sein, wie in alten Zeiten.
    Sprechen sie sich nun aus, wird alles gut? Elise versucht das in ihren Gesichtern zu ergründen, später, als sie gemeinsam das Restaurant betreten. Ihr Rücken tut weh, wird ihr auf einmal bewusst, ihr Rücken, ihre Schultern, sogar ihr Gesicht von all dem Bangen und Lächeln.
    Feinste schneeweiße Tischwäsche leuchtet mit den silbernen Lüstern und Kristallgläsern und Bestecken um die Wette. Im Hintergrund spielt dezent ein Herr im Frack Sonaten auf einem Piano.
    »So, nun stoßen wir an, auf unseren Gott und auf unser Leben.« Hermanns Stimme klingt angespannt, aufgesetzt fröhlich. Theodor zögert unmerklich, bevor er sein Glas hebt.
    Zum Glück sind die Kinder artig, eingeschüchtert von

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