Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)
beiden sich getroffen?«
»Keine Ahnung, aber doch wohl in Berlin, denke ich. Sie hat das Haus inseriert, deine Mutter hat es gekauft.«
Gekauft, ohne Geld zu haben. Gekauft, obwohl sie nie wieder nach Mecklenburg wollte. Es passte nicht, passte hinten und vorn nicht.
»Meinst du, ich könnte mal mit deiner Oma sprechen?«
»Über die Zeit, als deine Familie hier gelebt hat, meinst du?«
»Ja.«
»Wenn sie einen guten Tag hat, na klar, Irmi würde sich freuen. Aber versprich dir nicht zu viel. Deiner Mutter hatte ich das übrigens auch angeboten, aber sie wollte nie.«
»Nein?«
»Sie hat immer gesagt, ihre eigenen Erinnerungen würden ihr genügen.«
Mein Haus, dachte ich später, als ich mich von Moni verabschiedet hatte. Nein, nicht meines allein. Meines und Alex’, das Haus unserer Mutter. Ganz leicht glitt der Schlüssel ins Schloss, ließ sich mühelos drehen, doch die Tür klemmte trotzdem, man musste ziehen und die Klinke nach oben drücken, erst dann sprang sie auf. Es dauerte eine Weile, bis ich das herausfand. Dämmerlicht drinnen, der Geruch von Stein und Staub, und außen am rechten Türflügel noch immer das Hakenkreuz, auf tragisch-komische Weise passend. Hatte meine Mutter das auch so gesehen und es deshalb nicht entfernt? Oder wusste sie gar nichts von der SA-Vergangenheit ihres Vaters? Ich stieß die Tür weiter auf, schob Othellos Transportkorb in den Flur, wandte mich wieder um. Mein metallicrot leuchtender Transit wirkte wie eine weitere Figur aus Ivos Zauberbeamerspiel. Unter der Schicht verfaulter Gräser und Unkraut, die den Vorplatz des Pfarrhauses überzogen, konnte ich die Umrisse eines mit Feldsteinen eingefassten Rondells erkennen. Vielleicht, nein bestimmt, hatte meine Großmutter dieses Beet einst mit Blumen bepflanzt, oder – im Krieg – mit Gemüse. Sie liebte das Gärtnern, hatte selbst Brachland in kürzester Zeit in ein blühendes Wunder verwandelt. Waren um dieses Rondell einst Pferdefuhrwerke mit Besuchern vorgefahren oder benutzte man in den Vierzigerjahren auf dem Mecklenburger Land bereits Autos? In Poserin hatten meine Großeltern oft auf einer regengegerbten, windschiefen Holzbank neben der Haustür gesessen statt hinten auf der Veranda mit Blick auf den See. Als ob sie auf jemanden warteten oder ihr Anwesen bewachten. Ich sah hinüber zur Kirche, dann zum Schuppen und zu der gewaltigen Linde, die das Pfarrhaus um bestimmt zehn Meter überragte, stellte mir die beiden hier vor, nebeneinander, ihre kleine Hand in der seinen. Die Nazifreunde meines Großvaters waren hier wohl ein und aus gegangen, Gemeindemitglieder, Spielkameraden der Kinder, wahrscheinlich auch Monis Großmutter Irmgard. Und dann kamen irgendwann die Flüchtlinge aus Ostpreußen und die Panzer der Russen. Was hatte Moni gerade zu der Brandruine im Wald gesagt?
Das Von-Kattwitz-Gutshaus ist das, Rixa. Das hat auch eine ziemlich traurige Geschichte. Die Besitzer mussten fliehen, als die Russen kamen, und sind später enteignet worden. Die Russen blieben noch eine Weile, fanden es wohl bequem dort. Aber sie haben auch viel kaputt gemacht. Danach war das Haus eine Weile ein Kinderheim, und irgendwann ist es niedergebrannt. Man munkelt, der alte Besitzer selbst hätte das Feuer gelegt, aus Frust und aus Rache, weil er mit dem Haus auch seine Familie verloren hatte.
Der Krieg, immer der Krieg, noch Jahrzehnte später blieb er präsent. Ich zog den Schlüssel ab und schloss die Haustür, trug den Korb mit dem Kater nach vorn ins Verandazimmer, das nach rechts und links durch hohe zweiflügelige Türen mit den beiden benachbarten Räumen verbunden war. Schlafzimmer, in der Mitte das Wohnzimmer und daneben das Arbeitszimmer, in dem mein Großvater einst seine Predigten verfasst hatte, nach vorn raus die Küche und das Konfirmandenzimmer, oben die Schlafstuben der Kinder, war es einst so? Die Stille des Hauses war vollkommen, ein eigenes Wesen, selbst Othello in seinem Transportkorb saß lautlos. Der See schien aus Schiefer, abweisend, hart. Das Uferschilf wirkte ausgelaugt, der Bart eines Greises. Und jetzt, Rixa, was? Was hast du erwartet?
Ich hob den Katzenkorb wieder hoch und ging in die Küche. Nichts hatte sich hier seit meinem letzten Besuch verändert. Auf den Fliesen glitzerten noch immer die Scherben der Weinflasche, die ich zerschmettert hatte, die Decke auf dem Feldbett war straff gezogen, doch ich wusste um die zweite Wölbung neben dem Kopfkissen, wusste, dort lauerte immer noch Ivos
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