Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
nimmt meine Zeit voll und ganz in Anspruch. Aber ich werde Sie sicher einmal besuchen, wenn es in der Ferienzeit etwas ruhiger geworden ist.«
»Ich nehme an, die Sache mit Ihren Papieren hat Ihr Verlobter bereits geregelt?«
In diesem Augenblick war Marie mehr als erleichtert, dass sie den Treck gefunden hatten und sie die Papiere an sich genommen hatte.
»Natürlich, immerhin heiraten wir bald«, antwortete sie kühl. »Dazu brauchen wir die Papiere, nicht wahr?«
»Dann ist ja alles bestens, willkommen in unserer Stadt.« Corrigan lächelte, doch seine Augen funkelten eisig. »Wenn Sie mir die Freude machen und mich ein wenig begleiten würden? Mit fällt gerade ein, dass ich noch etwas mit Ihnen zu besprechen hätte.«
Marie blickte zu George, der vor sich hinlächelte, als hätte ihm jemand einen Witz erzählt, der ihm nicht mehr aus dem Kopf wollte.
Das hast du geplant, dachte sie. Als Rache dafür, dass ich deine »Dienste« nicht in Anspruch nehmen will.
»Aber natürlich«, entgegnete sie, bemüht, ihren Groll auch weiterhin hinter ihrem Lächeln zu verstecken, als sie Corrigans Arm nahm. Während die anderen drei zurückblieben, führte der Bürgermeister sie durch eine der offen stehenden Glastüren in den Garten, der erfüllt war vom Duft verblühender Rosen und anderer Sommerblumen. Da sich schon andere Gäste entschlossen hatten, ins Freie zu flüchten, um die milde Abendluft und den funkelnden Sternenhimmel zu genießen, führte Corrigan Marie ein Stückchen tiefer in den Garten.
Ihr Herz begann zu rasen, als sie feststellte, dass sie hier ganz allein waren. Marie warf einen Seitenblick auf Corrigan. Dessen Miene wirkte immer noch finster, verriet seine Absichten jedoch nicht.
»Ein wunderbarer Abend, finden Sie nicht?« Langsam wandte sich der Bürgermeister um. Beinahe drohend ragte er vor ihr auf, obwohl er nur einen Kopf größer war als sie. »Die Menschen wissen die Freuden der Natur viel zu wenig zu würdigen.«
»Was haben Sie mit mir zu besprechen?«, fragte Marie kühl, denn das höfliche Geplänkel war nichts weiter als Maskerade.
Corrigan schnaufte, dann zog er die Augenbrauen hoch. »Man hört, dass Sie eine gute Freundin der Indianer sein sollen. Stimmt das, Miss Blumfeld?«
Eisiger als seine Stimme war nur noch seine Miene, die im Schein der fernen Gartenbeleuchtung unnatürlich blass wirkte.
Marie hielt für einen Moment den Atem an, als sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Wahrscheinlich würde er jetzt versuchen, ihr ihre Meinung auszutreiben.
»Ich habe nichts gegen diese Menschen. Wie Sie sicher aus dem Stadtgespräch vernommen haben, war ich ein paar Wochen bei ihnen, notgedrungen. Sie haben mich aufgenommen und versorgt, als ich schwer verletzt war. Sie haben mir Unterkunft geboten, als ich kein Zuhause hatte. Und sie haben es mir freigestellt, zu bleiben oder fortzugehen, wohin ich will. Da ich eine Vereinbarung zu erfüllen hatte, habe ich mich dafür entschieden herzukommen.«
Corrigan nahm ihre Worte mit einem Nicken auf, doch seine Miene verriet Verachtung. »Nun, nicht alle Menschen hier haben so gute Erfahrungen mit den Rothäuten gemacht. Sie mögen vielleicht Glück gehabt haben, aber für andere galt das nicht.«
»Und welches Unheil haben die Indianer über die Menschen hier gebracht?«, fragte Marie provozierend. »Ich habe gehört, dass nur die wenigsten Bewohner von Selkirk je Kontakt mit ihnen hatten.«
»Als diese Siedlung gegründet wurde, kam es zu recht blutigen Zwischenfällen. Ganze Farmerfamilien wurden von den Rothäuten niedergemetzelt. Und wenn sie könnten, würden sie uns auch noch heute einen nach dem anderen umbringen.«
»Die Siedler sind in ihr Gebiet eingedrungen. Sie würden doch auch nicht wollen, dass jemand in Ihrem Garten sein Zelt aufstellt.«
Corrigan ballte die Fäuste. »Sie werden noch herausfinden, dass es besser ist, solche Meinungen nicht öffentlich kundzutun, Miss Blumfeld.«
Marie stemmte die Hände in die Seiten. Ihre Beherrschung bröckelte allmählich. Was fiel diesem Mann eigentlich ein? »Wollen Sie mir drohen, Mr Corrigan?«
»Nein, ich drohe Ihnen nicht, ich gebe Ihnen lediglich einen guten Rat«, entgegnete der Bürgermeister eisig. »Sollten Sie den Kindern in Ihrem Unterricht weiterhin Unsinn erzählen und versuchen, sie zu Indianerfreunden zu machen, werde ich dafür sorgen, dass Sie keinen Fuß mehr über die Schwelle der Schule setzen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Isbel; auch der
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