Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Mistkerl!«
»So dürfen Sie nicht über ihn reden!«, fuhr Marie ihn an, heftiger, als sie es gewollt hatte. Letztlich war es nur ihr Pflichtgefühl, das sie antrieb, Jeremy zu verteidigen.
»Ich denke, was Sie erlebt haben, hat Ihre Sicht auf Ihren Verlobten verändert!«, gab Carter grollend zurück. »Tut mir leid, aber seien Sie doch mal ehrlich, Sie sind doch keine Frau, die sich so behandeln lässt! Wäre ich an der Stelle Ihres Verlobten gewesen, hätte sich Corrigan seine Lobesrede in die Haar schmieren können. Oder besser gesagt, ich hätte sie ihm mit der Faust zwischen die Kauleisten geschoben.«
Beschämt senkte Marie den Kopf. Er hatte ja recht. Aber sie war immer noch mit Jeremy verlobt. Und vielleicht wollte er ja auch nur den Schein wahren und sich keinen Ärger mit Corrigan machen …
Philipp zwang sich sichtlich zur Ruhe, als er weitersprach. »Miss Blumfeld, ich erzähle Ihnen jetzt was, ob Sie es hören wollen oder nicht.«
Marie sah ihn an und sagte dann rau: »Ich will es hören!«
»Umso besser! Also, wie Sie wissen, war ich Soldat der US-Army.«
»Im Bürgerkrieg, ja.«
»Und noch ein Stück darüber hinaus. Nachdem das Abschlachten der Brüder untereinander beendet war, suchte man neue Aufgaben für die Kavallerie. Unser Regiment wurde ins Indianergebiet von New Mexico versetzt, vorgeblich, um die Grenze zu schützen. Unsere eigentliche Aufgabe war es allerdings, rebellierende Indianerstämme in Schach zu halten und notfalls gegen sie vorzugehen. Sie glauben gar nicht, was da alles geschehen ist. Die Bevölkerung hört nur von den großen Schlachten, für die meist den Indianern die Schuld gegeben wird. Davon, was die Army kleineren Lagern antut, redet niemand. Da werden Indianerfrauen verschleppt, Kinder und Alte getötet, Indianerkrieger aus dem Hinterhalt erschossen. Ein paar meiner Kameraden haben einer Navajo-Frau die Brüste abgeschnitten, als sie sich gegen die Schändung wehren wollte. Unser Kommandant sperrte diese Männer für drei Tage in den Bau, das war alles. Danach konnten sie weitermachen. Alles nur für Land, Geld und Öl. Als ich es nicht mehr ausgehalten habe, bin ich desertiert.«
Marie atmete zitternd ein. Der Gedanke, dass es Onawahs Stamm ähnlich ergehen würde, jagte eisige Schauer über ihren Rücken.
»Waren die nicht hinter Ihnen her?«
»Oh doch, das waren sie! Feldjäger verfolgten mich bis nach Montana; dann gelang es mir, sie abzuschütteln.«
Marie rief sich die Landkarte von Amerika wieder ins Gedächtnis. »So weit sind die Ihnen gefolgt?«
Philipp nickte. »Ich war kein einfacher Soldat, müssen Sie wissen. Ich war Offizier, stand kurz vor meiner Beförderung zum Colonel. Sie hatten Angst, dass ich von dem, was ich gesehen hatte, berichten könnte.«
»Warum haben Sie das nicht getan? Sie hätten der Regierung Bescheid geben müssen.«
»Einer Regierung, die insgeheim das Abschlachten der Indianer unterstützt?« Philipp schüttelte bitter den Kopf. »Nein, das war unmöglich. Nachdem ich die Rockys überquert hatte, wollte ich nur noch meine Ruhe. Ich schloss mich den Pelzhändlern an und wurde Kanadier.«
»Und die Männer, die hinter Ihnen her waren?«
»Die glauben sicher, dass ich in den Bergen umgekommen bin. Ich habe auch nicht vor, mich ihnen ins Gedächtnis zurückzurufen. Wenn es sein muss, bleibe ich Hausmeister für den Rest meines Lebens. Aber …« Er blickte Marie so intensiv in die Augen, dass ein wohliger Schauer über ihren Rücken rann. »Aber ich glaube, dass mir hier irgendwann der Boden unter den Füßen zu heiß werden wird, wenn Corrigan und seine Freunde so weitermachen. Ich bin eben kein Mann, der seine Klappe halten kann, erst recht nicht nach allem, was ich erlebt habe.«
»Sie wollen fort?«
»Nicht heute und auch noch nicht morgen. Aber ich glaube, eines Tages wird es so weit sein. Und wer weiß, vielleicht kommt dieser Tag für Sie auch irgendwann, denn Sie sehen mir auch nicht nach einer Frau aus, die ihren Mund halten und ihre Überzeugungen verschweigen kann.«
Philipp betrachtete sie lange, dann schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. »Wissen Sie eigentlich, wie bezaubernd Sie in dem Kleid aussehen?«
»Was? Oh!« Marie hatte ganz vergessen, dass sie die Robe trug. Jetzt erinnerte sie sich wieder daran, dass sie sich heimlich gewünscht hatte, Philipp könnte sie so sehen. Das Schicksal geht manchmal merkwürdige Wege, um Wünsche zu erfüllen, dachte sie, als sie sich artig für das Kompliment
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