Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Haare, geckenhafte Kleidung?«
»Von mittlerem Alter, zurückweichendes Haupthaar, graue Bartstoppeln.«
»Wann?«
»Vor einem Monat, vielleicht ein paar Tage mehr.«
Sybilla blieb stehen.
»Ich habe einen Fehler gemacht, denn kurz darauf wurde mir der gesamte Topf mit den Pilzen gestohlen.«
»Und jenen Arndt habt Ihr nie wiedergesehen?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Aber Ihr würdet ihn erkennen?«
»Sicher.«
»Sollte er Euch noch mal begegnen, schickt Botschaft an die Herren vom Spiegel. In Köln, Sybilla, am Alter Markt. Es wird Euer Schaden nicht sein.« Und damit legte John ein Silberstück auf den Tisch. »Ich danke Euch.«
Das Weib sah ihn mit schräg geneigtem Kopf an.
»Wen sucht Ihr wirklich?«
»Den Mann, der Mistress Alyss entführt hat. Vor zwei Wochen.«
»Wie gelangte ich in Euer Augenmerk?«
»Constantin vamme Thurme berichtete, dass er und seine Freunde jene Schankmaid mit Rauschmitteln willig gemacht hätten, die von Euch stammten.«
»Constantin vamme Thurme sollte besser seine Jagdhunde ausbilden. Davon versteht er was.«
»Das haben wir gesehen. Gehabt Euch wohl, Sybilla.«
Robert stand fachsimpelnd mit Edward im Schatten eines Baumes, die Pferde grasten friedlich neben ihnen.
»Etwas Nützliches erfahren?«
»Ein gewitztes Weib, das die Wahrheit zu umschreiben weiß. Getrockneter Fliegenpilz, angeblich von einem Arndt van Collen gekauft, der damit das Ungeziefer in seinem Haus vertilgen wollte. Dann ist ihr der ganze Topf voll gestohlen worden.«
»Also doch nicht so gewitzt.«
»Ich denke, es ist genug Geld dafür gezahlt worden. Der Fliegenpilz ist nicht nur nützlich gegen Ungeziefer, er weckt im Menschen auch bunte Träume und wilde Leidenschaft. Das weiß Sybilla ganz genau. So wie sie auch die Wirkung von Bilsen und Alraunen und vieler anderer Gewächse in ihrem Garten kennt. Den Ruf einer Zauberschen erwirbt man schnell, wenn man den Menschen Träume schenkt.«
»Arndt van Collen?«
»Ein Name nur, der eines älteren Mannes mit schwindendem Haupthaar und ergrauendem Bart.«
»Sollen wir zu Constantin zurückkehren und ihn befragen?«
»Edward, kehr du um. Robert, wir suchen in Deutz das Haus auf, in das Wynfrida mit ihrer Eselsherde gezogen ist.«
»Und vorher, Master John, würde dein Diener Bob gerne seinen hohlen Magen an einer Garküche stopfen.«
»Da sagst du was.«
22. Kapitel
S ie hatten ihr Fleischküchlein, Zwiebelbrot und gebackene Äpfel hingestellt, und im Krug befand sich ein leichter, weißer Wein ohne Gewürze. Daneben stand ein weiterer Krug mit Wasser.
Alyss aß und verdünnte den Wein, nachdem sie ihn gekostet hatte. Offensichtlich wollte man sie nun bei klarem Verstand haben, es gab keinen Nebengeschmack mehr – und keine unangenehmen Folgen.
Sie sollte nachdenken, schloss sie daraus.
Und das tat sie auch. Während ihre Finger sich mit den Leinenfäden ihrer heimlichen Flechtarbeit beschäftigten, folgten ihre Gedanken den Fäden der Erinnerung. Wieder und wieder rief sie sich jenen Altjahrsabend vor Augen, dessen Verlauf irgendwie dazu geführt haben musste, dass Duretta glaubte, ihr weismachen zu können, ihr Vater wünsche sie anständig zu verheiraten, um Enkel zu erhalten.
Es war ein kalter Tag gewesen, trocken zwar, aber ein eisiger Wind hatte im Kamin geheult. Der Dezember war dunkel und einsam erschienen, nachdem ihr Hauswesen so gut wie ausgeflogen war. Die jungen Leute waren zu Weihnachten zu ihren Familien heimgekehrt, John verbrachte die Zeit bei seinem sterbenden Vater, Marian war in Venedig, Robert und Catrin in Burgund. Nur Hilda, Peer und Lore waren geblieben. Gislindis allerdings war häufig vorbeigekommen, und auch Magister Jakob nahm gern ein warmes Mahl in ihrer Küche ein.
Sie hatte ihre Freunde zu einem gemeinsamen Essen am letzten Tag des Jahres eingeladen, und auch ihre Eltern hatten sich im Saal eingefunden, in dem ein mächtiges Feuer im Kamin brannte. Es war trotz der Silberplatten und der Wachskerzen und dem Wein in den Pokalen kein förmliches Essen, sondern eine fröhliche Feier, zu der das Hauswesen, der Magister, Merten, Gislindis und Mats Schlyffers, der Pelzhändler Richwin Brouwers und sein Weib und auch die Apotheker Trine und Jan sich zusammengefunden hatten. Hilda hatte einen Karpfen zubereitet, köstliches Backwerk und sämige Soßen standen auf dem Tisch, und die Gespräche verliefen launig und heiter. Sogar Hildas dumpfe Prophezeiungen störten die Stimmung nicht, auch wenn sie unkte,
Weitere Kostenlose Bücher