Das Lied des Kolibris
können sie sich unter uns so viele Frauen aussuchen, wie es ihnen gefällt. Allerdings haben wir nicht die Rechte einer Ehefrau.«
»Und wie viele Kinder hat er?«
»Zwei. Er hat einen Sohn und eine Tochter, fünf und drei Jahre alt. Er hat darüber hinaus noch unzählige Bastarde, also Kinder von Sklavenmüttern, die aber nicht als seine Kinder zählen.«
»Warum hat ihm seine Frau nur zwei Kinder geboren? Warum erlaubt man ihm nicht, sich weitere Ehefrauen zu nehmen, um seinen Stamm groß und mächtig zu machen? Und warum gelten die anderen Kinder, die doch aus seinem Samen entsprungen sind, nicht als seine Kinder?« Ich verstand das alles nicht. Die Denkweise der Weißen war mir völlig fremd.
»Hör auf zu fragen. Irgendwann wirst du das alles begreifen. Und komm bloß nicht auf die Idee, dich zu beschweren. Du hast es viel besser getroffen als ein paar andere Mädchen, die mit dir zusammen hier eingetroffen sind.«
Erst mehrere Tage später fand ich heraus, was sie damit gemeint hatte. Einige Frauen waren wie Tiere in Käfige gesperrt und von mehreren Männern über Tage hinweg brutal vergewaltigt worden. Die widerspenstigeren unter ihnen waren geschlagen, gepeitscht und auf übelste Weise missbraucht worden, und zwar so lange, bis ihre Kraft aufgezehrt und ihr Wille gebrochen war. Ihre Blicke waren abwesend und in sich gekehrt, ihre Körper von fürchterlichen Verletzungen gezeichnet.
Ja, dachte ich, ich hatte wohl »Glück« gehabt, dass ich dem Geschmack des Dicken entsprach, der wenigstens nur sein kleines Ding in mich gesteckt und nicht Stöcke in andere Körperöffnungen gestoßen hatte. Ich fragte mich, was dem Dicken ausgerechnet an mir so gefiel, denn einige der anderen Sklavinnen waren viel schöner als ich.
»Es ist«, erklärte Samba, »weil du groß und drahtig bist. Er mag Frauen nicht gern weich und anschmiegsam, wie andere Männer sie bevorzugen. Der Sinhô Sebastião liebt kleine, feste Brüste und knackige, jungenhafte Pobacken. Er mag sehnige Körper ohne ein Gramm Fett, und er mag tiefschwarze Haut, wie wir sie haben, wenn wir noch unvermischt mit der weißen Rasse sind.«
Und so fand ich mich damit ab, dass der junge weiße Mann mich alle paar Tage in dem Schuppen besprang. Ich unterließ die anschließenden Waschungen, um bald ein Kind zu empfangen. Denn nur dann, so behauptete Samba, könne ich in den Genuss gewisser Privilegien kommen und würde mit Geschenken überhäuft werden.
»Die weißen Männer haben alle eine Favoritin unter den Sklavinnen. Diese beschenken sie oft mit Gold und Juwelen und zeigen die schmuckbehangene Frau in aller Öffentlichkeit herum, damit alle sich von ihrem Reichtum überzeugen können. Wenn der Sinhô Sebastião dir ein
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schenkt, dann weißt du, dass du es geschafft hast. Du musst die Schmuckstücke sammeln, an einem Gürtel oder an einem Armband, und sie für alle gut sichtbar tragen. Daraus erwächst nicht nur ihm, sondern auch dir Ehre. Es ist so ähnlich wie mit den Amuletten in unserer Heimat.«
Das verstand ich endlich.
Ich beschloss, mir möglichst viele dieser Amulette zu verdienen, die mir gewiss den Weg in die Freiheit ebnen würden. Und ich begann schon einmal, von der Rückkehr in meine geliebte Heimaterde zu träumen. Ob ich dem Senhor zu Gefallen war oder auf den Feldern schuftete, ob ich in der Senzala von anderen Frauen geschnitten wurde oder ob Samba mir wieder eine ihrer Lektionen erteilte – immer war ich in Gedanken bei Uanhenga und meinen Kindern, bei meinen Eltern und Geschwistern. Im Geiste durchstreifte ich die Landschaft am Cubango-Fluss, sah Giraffen oder Elefanten majestätisch vorüberziehen und Löwinnen eine Antilopenherde zersprengen. Ich schnupperte die unvergleichlich frische Luft nach ergiebigen Regenfällen, lauschte dem fernen Grollen Tausender von Zebrahufen oder genoss einen feinen Kudu-Braten.
Ich träumte mich fort von all meinem Elend.
11
L ua verstaute Kladde und Kohlestift in ihrer Schürze. Sie war sich ziemlich sicher, dass Imaculada drei Viertel von dem, was sie ihr erzählte, erfunden hatte. Wo gab es denn Tiere mit einem Hals so lang wie ein Kirchturm? Oder rosafarbene Vögel, die den ganzen Tag einbeinig im seichten Wasser eines Sees standen? Lua ließ viele dieser Phantasiegestalten in ihrer Aufzeichnung fort, denn sie erschienen ihr im Sinne der Glaubwürdigkeit von Imaculadas Geschichte nicht eben förderlich. Einzig die Elefanten, die nahm sie ihr ab, denn von diesen Tieren
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