Das Lied des roten Todes
Themenwechsel.
»Danke, dass du mich zusammengeflickt hast«, sage ich.
»Ich scheine ein Talent dafür zu haben.«
Die Bemerkung führt mich in die Wärme seiner Wohnung zurück. Mein aufgeschürftes Knie. Die Kinder, die von der Tür aus zuschauen, während er gewissenhaft den Splitter aus meiner Hand zieht. Vielleicht sollte er sich zum Arzt ausbilden lassen. Abgesehen davon, dass dieser Beruf nicht sicher ist – in einer Zeit, in der die Seuche grassiert, sterben die Ärzte schneller als alle anderen.
»Wieso hast du den Gefangenen freigelassen?«, frage ich.
»Das habe ich nicht«, sagt er. »Das war Thom.«
Jetzt verliere ich doch den Halt und wäre auch gestürzt, wenn er nicht einen Satz auf mich zu gemacht und mich gestützt hätte. Er packt mich am Ellenbogen und schlingt einen Arm um meine Taille, aber er ist hinter mir, und daher kann ich sein Gesicht nicht sehen. »Thom? Aber warum hast du nicht –«
»Weil Elliott ihn getötet hätte. Eliott ist nicht gerade ein Freund derjenigen, die die Seuche haben. Er wollte den Gefangenen töten und hat nach einem Grund gesucht, den Jungen zu töten.«
Ich fürchte, er hat recht. »Aber so hast du den Anschein erweckt, als wärst du ein Verräter.« Beinahe füge ich »wieder« hinzu.
»Ich habe den Anschein erweckt, als wäre ich ein Idiot. Aber der Junge lebt noch.«
Er hat sich selbst zum Narren gemacht. Ich werfe einen Blick zum Lager. Sicherlich wird Elliott allmählich argwöhnisch und fragt sich, warum wir so lange brauchen, um Wasser zu holen.
»Thom ist bei April und den Kindern. Ist das sicher? Hat er gewusst, dass der Gefangene der Jäger ist? Dass er ein Mörder ist?«
»Nein, das glaube ich nicht. Thom würde April oder den Kindern nie etwas tun. Ich bin mir vollkommen sicher.«
Man kann sich nie vollkommen sicher sein. Das hast du mir beigebracht.
»Als ich mit dem Jäger gesprochen habe, wirkte er auf mich tragisch und verzweifelt«, spricht Will weiter.
»Alle in der Stadt sind verzweifelt«, sage ich und mache einen Schritt von ihm weg.
»Hast du jemals gesehen, wie Elliott jemanden getötet hat?« Er dreht mich herum, zwingt mich, ihn anzusehen. »Ich habe es gesehen. Er hat einen unbewaffneten Mann mit einem Schwerthieb getötet, die Klinge an seinem Taschentuch abgewischt und Diener zu sich gerufen, damit sie die Leiche wegschaffen. Er hat dabei gelächelt.«
»Nur gut, dass er sich nicht dein Taschentuch dafür ausgeliehen hat«, fauche ich. »Das, das du immer sauber hältst für den Fall, dass irgendein hübsches Mädchen sich an deiner Schulter ausweinen will.«
Wir leben in einer Gesellschaft, in der jeden Tag Menschen sterben. Ich werde nicht zulassen, dass Will mich mit diesen Vertraulichkeiten einfängt, weder mit der Tatsache, dass er sich selbst in Gefahr gebracht hat, um einem Jungen das Leben zu retten, noch mit seinen Warnungen über Elliott.
Ich gehe zum Lager zurück, werfe Will zuvor noch einen letzten finsteren Blick zu. Er schüttelt leicht den Kopf, aber er wirkt nicht überrascht, dass ich weggehe.
Elliott hat das Feuer gelöscht und unsere Vorräte wieder eingepackt. Ich warte darauf, dass er etwas sagt, aber er starrt nur gedankenverloren zur Stadt. Ich werfe mir mein Bündel über die Schulter, und wir drei brechen auf.
Je mehr wir uns der Stadt nähern, desto stärker lichtet sich der Wald.
»Gehen wir nun zum Debauchery Club?«, frage ich.
»Ja, aber da wir vier Tage Zeit haben, werden wir zuerst in der Stadt nach deinem Vater suchen. Und nach dieser magischen Pumpstation, die uns vor dem Sumpf retten könnte und vielleicht auch vor dem Roten Tod.«
»Glaubst du, es gibt sie wirklich?«
»Dein Vater scheint es geglaubt zu haben. Tust du das auch?«
»Ich weiß es nicht.« Mein Vater hat sie nie erwähnt, und die Hinweise in seinem Tagebuch sind unklar.
»Wo sollen wir deiner Meinung nach unsere Suche nach dem ehrwürdigen Dr. Worth beginnen?«, fragt Elliott.
»Als wir ihn das letzte Mal gesehen haben, war er hinter dem Forschungstrakt der Universität«, sage ich. »In diesem Gebiet fühlt er sich wohl.«
»Dann sollten wir dort zuerst nachsehen«, sagt Elliott.
Will hat bislang den ganzen Morgen geschwiegen, aber jetzt ergreift er das Wort. Er blickt auf die Straße. »Ist das da eine Dampfkutsche?« Vor uns scheint eine geschlossene Dampfkutsche gegen die Bäume gekracht zu sein.
»Ja.« Elliott läuft voraus. »Noch dazu eine ziemlich schöne«, bemerkt er. »Ich könnte sie
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