Das Lied des roten Todes
verachten ihn wegen seiner Gleichgültigkeit, während Menschen sterben. Malcontent indessen ist eine unmittelbarere Bedrohung. Die Menschen sprechen mit gedämpfter Stimme über ihn. Sie spekulieren darüber, wie er aussieht, ob einer von ihnen womöglich auf der Straße an ihm vorbeigegangen ist. Ob er hier bei ihnen in diesem Raum sein könnte.
Sie scheinen nichts von der Narbe zu wissen, davon, dass Prospero ihm die Kehle durchgeschnitten hat, während Elliott und April sich hinter den Vorhängen versteckt hatten. Sie wissen nicht, wer er wirklich ist. Ich kann das nicht mehr sehr viel länger für mich behalten.
Malcontents Leute wurden in den Straßen gesehen, aber nicht in den Massen, wie sie uns in jener Nacht begegnet sind, als wir entkamen, während sie im Gleichschritt durch die Tunnel unter der Stadt stapften. Sie tauchen in kleinen Grüppchen auf – zu zweit oder zu dritt – und erzählen den Leuten von ihrer seltsamen Überzeugung, dass die Seuche von Gott geschickt worden sei.
Stunden vergehen, und die Gäste wechseln; die kreativen Typen, die noch immer vom Campus angezogen werden, machen Arbeitern Platz, deren Gesichter zerfurcht sind und die argwöhnisch dreinblicken.
Die Bedienung verschwindet in einem Hinterzimmer, und ich bemerke, dass die anderen Mädchen die Lokalität verlassen haben, zusammen mit den jüngeren Männern. Ein Kerl an der Bar sieht mich von oben bis unten an. Er stößt seinen Nachbarn mit dem Ellenbogen an und sagt etwas. Sie lachen beide.
Ich beuge mich zu Elliott hinüber. »Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.«
Er schaut sich in dem Raum um. »Es ist nicht sicher, nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs zu sein, aber ich werde ein Zimmer mieten. Du hast letzte Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Ich bleibe noch ein bisschen hier und höre zu.«
Ich nicke. Seit wir an diesem Nachmittag den Abstecher durch die Tunnel gemacht haben, denke ich an das Buch mit den Karten, das ich für Elliott aus dem Debauchery Club gestohlen habe. Er hat es bestimmt nicht zurückgelassen, also muss es bei seinen Sachen sein. Ich muss es finden und studieren. Ich werde kaum eine bessere Gelegenheit bekommen als diese, da Elliott anscheinend vorhat, mich eine Weile allein zu lassen.
Er ruft den Mann hinter der Bar, und sie unterhalten sich ein paar Augenblicke leise. Als wir durch den überfüllten Raum gehen, um unsere Sachen zu holen, grabscht ein massiger Mann nach meinem Puffärmel und zieht mich zu sich.
Elliott reagiert so schnell, dass ich ihm kaum folgen kann. Er reißt den Mann von seinem Barhocker und hält ihn einen Moment an seinen Jackenaufschlägen, wirft ihn dann mit aller Kraft zu Boden. Ich rechne damit, dass der Mann wütend und kampfbereit aufspringen wird, aber Elliott baut sich mit geballten Fäusten über ihm auf. Der Mann bleibt, wo er ist.
In der Bar ist es einen Moment lang ganz still; dann entlädt sich die Spannung in lauten Gesprächen, Applaus und vulgären Vorschlägen. Der Krawall lockt Will an. Er mustert den Mann, der sich langsam wieder aufrappelt.
»Das war beeindruckend«, sagt Will.
»Schnelle Reflexe.« Elliott wirft Will einen vielsagenden Blick zu, der auf seine leicht geschwollene Lippe gerichtet ist. War es erst gestern, dass Elliott ihn geschlagen hat?
»Sorgst du für ihre Sicherheit?«, fragt Will.
»Es geht mir gut«, sage ich. »Und es wird mir auch weiterhin gut gehen.«
»Dann also bis morgen.« Will schnappt sich sein Bündel.
Und dann rauscht Elliott mit mir zwei Treppen hinauf zu einer Schlafkammer. Dies ist ebenso sehr eine behelfsmäßige Pension wie eine behelfsmäßige Gaststube.
»Verriegle die Tür hinter mir«, sagt Elliott. »Ich weiß nicht, wie lange ich weg sein werde. Die Gespräche sind gerade interessant geworden.«
Sobald er weg ist, hieve ich seine Tasche auf eines der Betten und durchsuche sie eingehend, sogar die winzigen Taschen, die im Innern eingenäht sind. Ich entferne sämtliche Waffen, lege die Messer nebeneinander auf die Decke. Munition. Goldmünzen, die ich durch meine Finger fallen lasse. Ich beachte die silbernen Münzen und die Pennys nicht, und falte einen absolut sauberen Satz Kleidung auseinander und wieder zusammen; sogar eine Weste ist dabei. In einer der kleinsten eingenähten Taschen finde ich etwas Hartes und Kaltes und Scharfes. Ich weiß, was es ist, bevor ich meine Hand wieder herausziehe und es ansehen kann. Die Facetten des Brillantrings, den Elliott mir gegeben hat,
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