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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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sie zur Rückwand des Grafenzeltes, von der man, wie Aki erleichtert feststellte, alle Wachen abgezogen hatte. Sie legten sich flach ins Gras und überwanden das letzte Stück kriechend. Ketil machte sich an einem Holzpflock zu schaffen, ruckte ihn einige Male hin und her und zog ihn dann aus der Erde.
    Sogleich wollte Aki unter der Plane hindurchschlüpfen, doch Ketil hielt ihn zurück.
    «Wir sollten erst sichergehen, dass kein Blutmantel drin ist», flüsterte er.
    Aki nickte zustimmend, auch wenn ihn die Ungeduld auffraß. Mit jedem Schritt, den er dem Zelt näher gekommen war, war das Gefühl stärker geworden, dass Asny wirklich hier war. Er glaubte, ihre Nähe spüren zu können.
    Ketil zog einen zweiten Pflock aus dem Boden, dann noch einen dritten, bis auch er hindurchpasste. Zuerst rollte sich Aki ins Zelt und lauschte. Da er keine verdächtigen Geräusche hörte, gab er Ketil ein Zeichen, indem er seine Hand unter der Zeltwand nach draußen schob und zweimal die Finger krümmte. Dann wartete er, bis Ketil nachgekommen war.
    Wie schon in Colonia wurde auch hier die Sicht durch mehrere übereinandergestellte Truhen verdeckt. Aki und Ketil erhoben sich langsam, sahen aber weder einen Soldaten noch Asny; nur die Stimmen von draußen waren zu hören. Aki richtete sich auf, bis er im Zwielicht den gesamten Innenbereich überblicken konnte. Sein Magen krampfte sich zusammen. Das Zelt schien tatsächlich verwaist zu sein.
    Ein schrecklicher Verdacht beschlich ihn. Vielleicht hatte der Graf Asny längst getötet? Vielleicht war es nur so dahergesagt gewesen, als er sie ‹seine Königin› genannt hatte.
    Schweiß trat Aki auf die Stirn. Er schlich zu den Kisten.
    «Sei vorsichtig!», flüsterte Ketil.
    Aki schob sich auf die zuoberst liegende Truhe. Als er einen Fuß auf der anderen Seite abstellen wollte, trat er auf etwas Weiches. Er zuckte zurück, drehte sich um, schaute hinunter und erstarrte.
    Unter ihm lag ein nackter menschlicher Körper bäuchlings auf dem Boden. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Aber Aki zweifelte nicht daran, dass es eine Frau war. Ihre Arme waren dicht an den Oberkörper gezogen, die Hände darunter verborgen.
    Aki sprang ab, landete neben ihr und kniete sich hin.
    Ketils Kopf tauchte über ihm auf. «Allmächtiger!», entfuhr es ihm. «Ist sie das? Ist das Asny?»
    Aki legte seine Hand mit sanftem Druck auf ihren Rücken. Als er sie berührte, hätte er beinahe einen Schrei ausgestoßen.
    «Ihre Haut ist noch warm», stieß er aus.
    Ketil kam zu ihm herunter
    «Wir müssen sie umdrehen», flüsterte Aki. «Irgendetwas ist mit ihr. Ich bin auf sie getreten. Sie hätte aufwachen müssen.»
    Ketil fasste sie vorsichtig an Schulter und Hüfte und legte sie behutsam erst auf die Seite und dann auf den Rücken. Sie war an Händen und Füßen gefesselt.
    Aki schlug sich die Hand vor den Mund. Es war Asny! Sie war so schön, dass es ihm den Atem verschlug. Die Haut auf ihrem Gesicht und ihrem Körper war makellos. Er sah keine Flecken, keine Zeichen von Gewaltanwendung. Einzig am Hals hatte sie eine kleine Schnittwunde.
    Sanft berührte er ihre Wange.
    «Wahrscheinlich hat er ihr irgendetwas gegeben», meinte Ketil. «Vielleicht Kräuter, die sie bewusstlos gemacht haben.»
    Aki beugte sich über sie. «Asny! Asny, kannst du mich hören? Ich bin es, Aki. Ich bin gekommen, um mein Versprechen einzulösen. Ich hole dich hier raus!»
    Ihre Lider begannen zu flackern. Sie öffnete die Augen, dann stieß sie einen heiseren Schrei aus.
    Ein stöhnender Laut entrang sich Ketils Kehle. Er bekreuzigte sich einmal, zweimal, dreimal. Dann hob er mit gefalteten Händen den Blick zum Zeltdach und raunte: «O Herr, ich danke dir. O Herr im Himmel, du …»
    «Was zur Hölle ist hier los?»
    Eine Stimme hinter ihnen. Eine raue, aufgeregte Stimme.
    Dann eine andere: «Vemund? Stimmt was nicht? Warum holst du die Frau nicht raus?»
    Im Zelteingang stand ein Blutmantel und starrte Aki und Ketil an wie eine Erscheinung aus dem Jenseits. Die Stirn des Mannes war mit Stofffetzen verbunden. Neben ihm erschien erst ein zweiter, dann ein dritter Soldat. Als sie sahen, was im Zelt los war, zogen sie ihre Schwerter.
    Und mit einem Mal erhoben sich vor dem Zelt Schreie und laute, hämmernde Geräusche. Als trommelten Waffen auf Schilde. Als rücke ein Heer zum Angriff vor.
    Es waren die Geräusche der Schlacht.

74.
    Hakon sah, wie sich unter dem höchsten Fenster des Glockenturms das Banner des Grafen entrollte wie

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