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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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steinernen Sakramenthaus. Bis ins Gewölbe ragte das von Adam Veit geschaffene Kunstwerk empor.
    » Sieh nur, den Pirckheimer « , unterbrach ein Raunen seine Gedanken. Es war Dietrich Bratler, der sich zu seinem Nachbar Lukas Wendel beugte. » Der gelehrte Herr wird immer fetter! «
    » Irgendwann platzt der Kerl noch « , erwiderte der Gerber leise. » Gebe Gott, dass es nicht an Ferdinands Tafel geschieht! «
    Der andere lachte leise.
    Sepp stieß dem Freund feixend einen Ellbogen in die Seite, und auch Sebastian konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen.
    Seit der Kaiser nach dem Reichstag zu Worms das Heilige Römische Reich verlassen hatte, um Krieg gegen Frankreich zu führen, herrschte in der Kaiserburg das Reichsregiment unter dem Vorsitz von Erzherzog Ferdinand, dem Bruder des Herrschers. Vor einigen Tagen hatten Sebastian und Sepp einen Blick auf den hochgewachsenen Mann werfen können, als dieser in Begleitung einer Jagdgesellschaft durch das Tiergärtnertor aus der Stadt geritten war. Dass Willibald Pirckheimer – jener Mann, über dessen Leibesfülle sich Bratler und Wendel mokierten – des Öfteren auf der Burg bei Ferdinand und seiner Gattin zu Gast war, war allgemein bekannt.
    Sebastian reckte den Hals. Tatsächlich, nur wenige Schritte von der Kanzel entfernt saß der Patrizier. Der Mann, der sich die Nase bei einem Turnier eingeschlagen hatte, wie es hieß, war eine weit über Nürnberg hinaus bekannte Erscheinung und hatte Kontakt zu dem berühmten Erasmus von Rotterdam sowie anderen klugen Köpfen in ganz Europa. Seine große Bibliothek stand allen Interessierten offen. Es war stadtbekannt, dass der Mann nicht nur gutem Essen, sondern auch allen Künsten zugetan und unter anderem deshalb ein Freund und Förderer Albrecht Dürers war. Diesen entdeckte Sebastian in Begleitung seiner Frau Agnes nun ein paar Plätze neben Pirckheimer. Den Maler erkannte man unschwer an den überaus langen Haaren, die ihm auf die schmalen, von einem Pelzkragen bedeckten Schultern fielen.
    Die Tür der Sakristei öffnete sich, und Andreas Osiander trat heraus. Während er den Gottesdienstbesuchern den Rücken zuwandte, sprach er die ersten Sätze des Messritus. Die lateinischen Worte der Liturgie und die Gesänge rauschten an Sebastian vorbei, allerdings gelang es ihm, sich im richtigen Moment niederzuknien und zu erheben. Zwei Bankreihen vor ihm saßen eine Frau und ein junges Mädchen, dessen langer Zopf leuchtete wie Weizen. Einen Augenblick meinte er, das hübsche Mädchen von der unseligen Begegnung mit Sepp vor sich zu sehen. Barbara, an die er immerzu denken musste. Aber sie war es nicht, ihr Haar hatte eher die Farbe von Honig. Ob er sie jemals wiedersah?
    » Liebe Brüder und Schwestern « , unterbrach des Pfarrers Stimme seine Gedanken. Mit dem Evangeliar in den Händen hatte sich Osiander zu der Gemeinde umgedreht, was ungewöhnlich war, schließlich wurden die verschiedenen Teile des Ritus stets mit dem Altar zugewandten Gesicht zelebriert. Ein schmales, kaum erkennbares Lächeln lag auf seinem Gesicht.
    Sebastian beugte sich vor.
    » Bevor ich mit der heutigen Evangelienlesung und deren Homilie beginne « , erklärte der Pfarrer mit klarer Stimme, » habe ich die Freude, euch allen eine überaus wichtige und angenehme Mitteilung machen zu dürfen. « Seine Züge wurden ernst. » Nicht jedem Nürnberger wird diese Nachricht gefallen, das ist mir sehr wohl bewusst. Dennoch möchte ich meine Erleichterung nicht verhehlen über das, was ich vor zwei Tagen durch einen Boten erfahren habe. Der noch bis vor einigen Wochen tot geglaubte Martin Luther – er lebt. «
    » Was sagt er? Luther soll leben? « , hörte Sebastian eine Frau weiter vorn rufen. Sogleich ermahnte ihr Mann sie, zu schweigen, während viele der Anwesenden flüsternd die Köpfe zusammensteckten. Andere verliehen ihrer Freude über die Mitteilung unverhohlen Ausdruck, darunter auch Pirckheimer und Dürer. Sebastian folgte Sepps Blick, der Elia beobachtete. Dessen Züge hatten sich verzerrt. Die Knöchel seiner Finger, mit denen er die Rückenlehne der Bank umklammerte, waren weiß wie Linnen.
    Nach der Eucharistiefeier, weiteren Gebeten und dem abschließenden Segen waren die Menschen ins Freie geströmt, wo die Gläubigen nun in Grüppchen zusammenstanden und sich lebhaft über die Nachricht ihres Pfarrers austauschten . Außer den allgegenwärtigen Bettlern, die vor den Stufen des Portals trotz eines feinen Nieselregens auf milde Gaben

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