Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
ihren Sohn. «
Der würzige Rauch aus Freislers Pfeife erfüllte den Raum. » Wie auch immer « , erklärte der Steinmetz, » meine Frau und ich schulden dir etwas, junger Mann. Du kannst die nächsten Tage hierbleiben. «
» Vielen Dank, Herr Freisler « , sagte er, » und Euch natürlich auch, Frau Freisler. «
» Wir wären schlechte Christenmenschen, wenn wir jemanden vor die Tür setzen würden, der kein Heim mehr besitzt. Noch dazu, wenn er unserer Tochter geholfen hat. «
» So ist es « , sagte Michael Freisler und hob den Becher. » Nun trink erst mal einen Schluck, Sebastian. Der Glühwein wird dir guttun. Morgen möchte ich allerdings ein wenig mehr darüber erfahren, wie es dazu kommt, dass sich ein eigentlich ganz vernünftig wirkender junger Mann solchen Rüpeln anschließt. «
KAPITEL 26
D ie Kapuze wegen des scharfen Windes tief ins Gesicht gezogen, schritt Anna mit Lenchen durch die Stadt. Zur Spitalgasse, in der Diethelm Lamprecht sein Geschäft betrieb, war es nicht weit . Als sie Lamprechts Haus betrat, war der Pelzhändler in ein Gespräch vertieft. Eine junge Frau bat sie höflich, sich eine Weile zu gedulden, Herr Lamprecht werde sich um sie kümmern, sobald es seine Zeit zuließ. Währenddessen musterte sie den vornehm wirkenden Mann, der es offensichtlich gerade mit anspruchsvollen Kunden zu tun hatte. Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis sich der Geschäftsmann mit einem entschuldigenden Lächeln an sie wandte. Anna schilderte ihm mit stockenden Worten ihr Anliegen.
» Ach herrje, Frau Dietl! Es tut mir leid, was geschehen ist. Wir wussten uns wirklich nicht anders zu helfen, als Euren Gatten an Ort und Stelle zu begraben. Mein Freund Clemens Münzberger hat ihn gefunden. « Der Pelzhändler bat sie nach einem prüfenden Blick in einen Nebenraum, doch sie wehrte ab.
» Danke, aber ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr mir unverblümt mitteilen könntet, wie der … der Leichnam meines Mannes ausgesehen hat. «
Lamprecht gab der jungen Frau ein Zeichen, woraufhin sie davoneilte, um Anna eine Erfrischung zu reichen. Vorsichtig nippte sie kurz darauf an dem gewärmten Wein und stellte den Becher ab.
» Nun « , begann der Geschäftsmann mit einem bedauernden Schulterzucken, » zugegebenermaßen hat mir der Anblick des Leichnams sehr zugesetzt, deshalb habe ich Herrn Münzberger gebeten, die Bestattung zu übernehmen. Der Tote hatte blonde Haare, neben ihm lag eine Brille, daran erinnere ich mich deutlich. Da er auf dem Bauch lag, konnte ich allerdings nicht viel mehr erkennen. Bitte verzeiht, wenn ich sonst nichts zur Aufklärung beitragen kann. «
Anna dankte ihm leise und wollte sich gerade nach dem genauen Fundort erkundigen, als zwei Herren das Geschäft betraten und Lamprecht lautstark begrüßten. Also machte sie sich nach einer flüchtigen Verabschiedung auf den Weg in den Süden der Stadt und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Clemens Münzberger ihr mehr Klarheit bringen konnte.
Mit jedem Schritt durch die verwinkelten Gassen der Lorenzstadt wurde ihr das Herz schwerer. Magdalena schien der Spaziergang zu gefallen, denn sie krähte fröhlich. Als sie schließlich vor der Ladentür des Geschäftes am Hohen Pflaster ankam, hielt sie inne. Ein junger Mann begrüßte sie freundlich. Auf ihre Frage, ob sie Herrn Münzberger kurz sprechen könne, erwiderte er, der Instrumentenbauer sei erkrankt, und bat sie, zu einem anderen Zeitpunkt wiederzukommen.
Zwei Tage später lenkte der Pfarrer den von einer braunen Stute gezogenen Wagen durch das Spittlertor aus der Stadt. Anna saß neben ihm auf dem Kutschbock, Lenchen hatte sie auf den Schoß genommen. In den frühen Morgenstunden hatte es zum ersten Mal in diesem Jahr geschneit. Der Einspänner rollte über die von einer dünnen Schicht aus Pulverschnee bedeckte Straße in westlicher Richtung.
» Bevor Ihr vorhin bei mir angeklopft habt, habe ich noch ein krankes Gemeindemitglied in der Nähe des Wollnertors besucht. Der Mann hat mir von einem Nachbarn berichtet, der derzeit einen jungen Gast beherbergt. «
» Ach ja. Ein Freund der Familie? « , erwiderte sie gedankenverloren.
» Soweit ich weiß, ist es wohl eher ein Bekannter der Tochter. Er soll aus Nürnberg stammen und einen Großteil seiner Familie an den Schwarzen Tod verloren haben. «
Anna starrte in Osianders Gesicht, während ihr eine Unzahl Gedanken durch den Kopf huschten. Erregung ergriff sie. » Ihr meint, es könnte sich bei dem jungen Mann um meinen Bruder
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