Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
fallen, als wäre es gar nichts. Jagor ging voran. Er wollte hier raus. Er legte die Arme an sich wie ein zu großer Vogel ohne Flügel. Rechts war nicht seine Seite.
Zum zweiten Mal ging Anevay über die Steinplatte mit den tausend Löchern, die mechanische Tür entriegelte sich und sie traten hinaus auf den Vorplatz. A musste für einen Moment die Augen zukneifen, aber nicht lange, denn der Drang nach Licht und Farbe war unwiderstehlich. Sie tränten, als sie den Himmel sah. Die Wolken schnellten dahin, schwer und bauchig. Ihr war nicht im Geringsten bewusst, wie lange sie ihr Leben zwischen den gläsernen Wänden verbracht hatte, aber nun roch sie den herben Duft von gefallenem Laub und einen Wind, in dem bereits der Winter ein paar Strähnen seines kalten Haares verteilt hatte. Es mussten also viele Monate vergangen sein. Als man sie aufgegriffen hatte, war es Sommeranfang gewesen. A schauderte im kalten Wind, spürte erneut den Kies unter ihren Füßen. Doch dieses Mal war die Ruhe ihr Begleiter, nicht die Angst.
Der Wagen stand da, jener, der sie damals auch hierher gebracht hatte. Es war ein Ungetüm aus Stahlblech, mit Reifen, die durchaus für das Gelände geeignet waren, schwarz und mit dem weißen Emblem des dramatischen Flügels darauf. Die Fahrerkabine wirkte wie die Schnauze eines Wachhundes, das Heck hing klobig auf den hinteren Achsen, eine fahrbare Zelle.
Fingermann stieß Anevay mit dem Schlagstock auf die Ladefläche zu. Sie ging, sagte ihm aber nicht, dass in seinem Atem der Geruch von Rost lag. Einer seiner Zähne müsste bald gezogen werden. Er öffnete fahrig die Verschlagtür, nur eine Seite, und nickte nach innen. A lächelte, kletterte hinein, setzte sich auf die schmale Bank an der Außenseite. Sie hätte fragen müssen: ›Wohin bringt ihr mich? Was hat das alles zu bedeuten?‹ Doch da waren keine Fragen in ihr. Nur Fingermann, der sie anstarrte, als ob sie ein Messer unter der Zunge versteckt hielt, jeden Moment alle Fesseln abstreifen würde, nur um ihn zu töten. Es war keine blanke Furcht in seinen Gesten, doch eine Vorsicht, die bis vor ihre nackten Füße gekrochen kam.
Kies knirschte erneut, ein zweiter Wagen hielt hinter dem Transporter, A sah nur die verzierten Scheinwerfer, die summend ihre Linsen einklappten. Ein mit Pulver betriebenes Auto! Wieder fragte sie sich, was an ihr war, dass ein solcher Aufwand betrieben wurde. Die grau berockten Waden von Mrs Redbliss schnellten an dem Spalt vorüber, eine Tür schlug zu. Die Linsen erwachten wieder zum Leben, der Wagen begann zu brummen.
»Macht sie dir solche Angst?« Jagors Lachen. Fingermann drehte sich empört um. »Schwing deinen Arsch endlich da rein oder ich mach dir Beine, Finger!« A lächelte wieder, aber sie verbarg es, als Fingermann unruhig in den Verschlag blickte, das Trittbrett erklomm und sich ihr gegenüber hinsetzte, mit dem Stock auf sie zeigend. Die Tür wurde zugedonnert, das Schloss rastete ein, Motoren begannen zu vibrieren. Ein Rumpeln ließ sie beide wanken. Die Fahrt begann.
»Endlich einmal etwas Abwechslung.«, sinnierte Anevay gerade heraus.
Fingermann starrte sie an. Er wollte lieber eintausend Meilen weiter fort sein, das sah man ihm an. Er trug die gefährliche Mischung von Angst und Trotz zur Schau. Selbst wenn sie gefesselt war, er würde ihr den Schädel einschlagen und behaupten, sie habe ihn angegriffen, sollte sie auch nur verkehrt blinzeln. Wieder tat er aus Nervosität etwas, das er nicht hätte tun sollen: Er tippte mit dem Schlagstock auf ihr Knie. A wusste, was er ihr damit sagen wollte: ›Nur noch ein Wort und ich mache dir dein Leben zur Hölle.‹ Dann war er an der Reihe zu grinsen.
»Sie werden es finden!« Er geiferte fast danach. »Sie werden dein Blut nehmen und den Zauber darin finden! Dann wird niemand mehr über mich lachen, niemand mehr.«
»Und was, wenn nicht?« A fragte es ganz sachlich. Fingermann wirkte erschrocken, geradezu paralysiert, schüttelte heftig den Kopf.
»Nein, sie werden es finden! Ich spüre es! Und sie werden es verdammt noch Mal auch … !«
»Was?» A knurrte. »Wegschneiden?«
»Wenn es sein muss, ja!« Er fing sich wieder. »Da haben sie Geräte für. Nur für dich.« Er strahlte.
»Ich werde nicht in ihre Geräte passen, ich werde mehr sein!«
Der Stock tippte weiter auf ihr Knie, nur schwächer als zuvor. Unsicherer.
»Wir werden es ja sehen. Von ganz nah.« Dann schwieg er, während er besorgt seine Wange befühlte.
Der Wagen
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