Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
seine Schritte knallten laut am Boden und hallten von den nackten Steinmauern zurück. Lords und Ladys machten Platz, ihn durchzulassen. Erst als die Pagen die großen Türen aus Eiche und Bronze hinter ihm geschlossen hatten, hörte Sansa wieder anderes: leise Stimmen, unruhiges Scharren, das Rascheln von Papier am Ratstisch. »Er hat mich Junge genannt«, klagte Joffrey übellaunig und klang dabei jünger, als er nach Jahren war. »Er hat auch von meinem Onkel Stannis gesprochen.«
»Leeres Geschwätz«, sagte Varys, der Eunuch. »Ohne Bedeutung …«
»Es könnte sein, dass er mit meinen Onkeln üble Pläne schmiedet. Ich will, dass man ihn ergreift und befragt.« Keiner rührte sich. »Ich sagte: Ich will, dass man ihn ergreift!«
Janos Slynt erhob sich vom Ratstisch. »Meine Goldröcke werden sich seiner annehmen, Majestät.«
»Gut«, sagte König Joffrey. Lord Janos marschierte aus dem Saal, und seine hässlichen Söhne mussten sich sputen, um Schritt halten zu können, da sie den großen, metallenen Schild mit dem Wappen des Hauses Slynt zu schleppen hatten.
»Majestät«, erinnerte Kleinfinger den König. »Wenn wir fortfahren könnten … die Sieben sind nur noch sechs. Wir benötigen einen neuen Recken für Eure Königsgarde.«
Joffrey lächelte. »Sag es ihnen, Mutter.«
»Der König und der Rat sind zu dem Entschluss gekommen, dass niemand in den Sieben Königslanden geeigneter wäre, Seine Majestät zu hüten und zu schützen, als seine Leibwache Sandor Clegane.«
»Wie gefällt dir das, Hund?«, fragte König Joffrey.
Im narbigen Gesicht des Bluthunds war kaum eine Regung zu erkennen. Er nahm sich einen langen Augenblick, darüber nachzudenken. »Warum nicht? Ich müsste weder
Ländereien noch eine Frau aufgeben, und wen würde es stören, wenn ich es täte?« Die verbrannte Seite seines Mundes zuckte. »Aber ich warne Euch, ich werde keinen Rittereid ablegen.«
»Die Bruderschaft der Königsgarde hat stets aus Rittern bestanden«, sagte Ser Boros bestimmt.
»Bis jetzt«, sagte der Bluthund in seinem tiefen Krächzton, und Ser Boros schwieg.
Der Herold des Königs trat vor, und Sansa wurde bewusst, dass der Moment nun fast bevorstand. Nervös strich sie den Stoff ihres Rockes glatt. Sie trug Trauerkleider als Zeichen des Respekts für den toten König, dennoch hatte sie besondere Sorgfalt darauf verwendet, sich hübsch zu machen. Ihr Kleid war von der elfenbeinfarbenen Seide, welche sie von der Königin geschenkt bekommen und die Arya ruiniert hatte, doch hatte sie diese schwarz färben lassen, und jetzt war der Fleck nicht mehr zu sehen. Stundenlang hatte sie vor ihrem Schmuck gesessen und sich schließlich für eine schlichte Silberkette entschieden.
Des Herolds Stimme wurde laut. »Falls jemand in diesem Saale Seiner Majestät noch anderes vorzutragen hat, soll er sich nun zu Worte melden oder von dannen ziehen und für immer schweigen.«
Sansa verlor den Mut. Jetzt, sagte sie sich, ich muss es jetzt tun. Mögen mir die Götter den Mut verleihen. Sie trat einen Schritt vor, dann noch einen. Lords und Ritter traten schweigend beiseite, um sie durchzulassen, und sie spürte die Last ihrer Blicke. Ich muss stark wie meine Hohe Mutter sein. »Majestät«, rief sie mit weicher, bebender Stimme.
Vom Eisernen Thron aus hatte Joffrey einen besseren Überblick als alle anderen im Saal. Er erkannte sie zuerst. »Tretet vor, Mylady«, rief er lächelnd.
Sein Lächeln machte ihr Mut, gab ihr das Gefühl, schön
und stark zu sein. Er liebt mich wirklich, es stimmt. Sansa hob den Kopf und ging auf ihn zu, nicht zu langsam und nicht zu schnell. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, wie nervös sie war.
»Die Lady Sansa aus dem Hause Stark«, rief der Herold.
Unter dem Thron blieb sie stehen, an der Stelle, wo Ser Barristans weißer Umhang neben seinem Helm und dem Brustpanzer am Boden lag.
»Hast du dem König und dem Rat etwas vorzutragen, Sansa?«, fragte die Königin vom Ratstisch her.
»Das habe ich.« Sie kniete auf dem Umhang, um ihr Kleid nicht zu beschmutzen, und blickte zu ihrem Prinzen auf seinem grässlichen, schwarzen Thron auf. »Wenn es Eurer Majestät gefällt, so bitte ich um Gnade für meinen Vater, Lord Eddard Stark, der die Hand des Königs war.« Hundertmal hatte sie die Worte geübt.
Die Königin seufzte. »Sansa, du enttäuschst mich. Was habe ich dir vom Blut eines Verräters erzählt?«
»Euer Vater hat schwere und furchtbare Verbrechen verübt, Mylady«, intonierte
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