Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
würden Befehl haben, niemanden aus der Stadt zu lassen, ob man sie nun erkannte oder nicht.
Allerdings gab es noch einen anderen Weg aus der Burg …
Der Sattel glitt Arya aus den Händen, fiel mit dumpfem Schlag in den Dreck und wirbelte Staub auf. Würde sie den Raum mit den Ungeheuern wieder finden? Sie war nicht sicher, doch sie wusste, dass sie es versuchen musste.
Sie fand die Kleider, die sie eingesammelt hatte, und warf sich den Umhang über, versteckte Nadel in dessen Falten. Den Rest ihrer Sachen band sie zu einer Rolle zusammen. Mit dem Bündel unterm Arm kroch sie zum anderen Ende des Stalls. Sie entriegelte die Hintertür und spähte vorsichtig hinaus. In der Ferne hörte sie Schwerter klirren und über den Burghof hinweg das bebende Heulen eines Mannes, der vor Schmerzen schrie. Sie würde die Wendeltreppe hinuntermüssen, an der kleinen Küche und dem Schweinestall vorbei, so war sie beim letzten Mal gelaufen, auf der Jagd nach dem Kater … nur würde sie dieser Weg direkt an den Kasernen der Goldröcke vorüberführen. Das war nicht möglich. Arya überlegte. Wenn sie zur anderen Seite der Burg hinüberlief, konnte sie an der Flussmauer entlang und durch den kleinen Götterhain schleichen … nur musste sie zuerst den Burghof überqueren, der von den Wachen auf den Mauern offen einzusehen war.
Nie zuvor hatte sie so viele Männer auf den Mauern gesehen. Goldröcke zumeist, mit Spießen bewaffnet. Einige kannte sie vom Sehen. Was würden sie tun, wenn sie Arya auf dem Hof entdeckten? Sie würde von dort oben so klein aussehen … würde man sie überhaupt erkennen? Würde es die Männer interessieren?
Sie musste jetzt los, sagte sie sich, doch als der Augenblick gekommen war, lähmte sie die Angst.
Ruhig wie stilles Wasser, flüsterte eine leise Stimme in ihr Ohr. Arya erschrak so sehr, dass sie fast ihr Bündel fallen gelassen hätte. Ruckartig sah sie sich um; niemand war im Stall, nur sie, die Pferde und die Toten.
Still wie ein Schatten, hörte sie. War es ihre eigene Stimme oder Syrios? Sie konnte es nicht sagen, dennoch beruhigte sie ihre Angst ein wenig.
Sie trat aus dem Stall heraus.
Es war das Unheimlichste, was sie je im Leben getan hatte. Sie wollte rennen und sich verstecken und zwang sich trotzdem, über den Hof zu gehen, langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen, als hätte sie alle Zeit der Welt und keinen Grund, sich vor irgendjemandem zu fürchten. Sie glaubte, ihre Blicke zu spüren wie Käfer, die unter ihren Kleidern über ihre Haut krochen. Arya sah nicht auf. Wenn sie bemerkte, wie die Männer sie beobachteten, würde sie den Mut verlieren, das wusste sie, und sie würde das Bündel fallen lassen und rennen und wie ein kleines Kind weinen, und dann wäre sie verloren. Sie hielt ihren Blick auf den Boden geheftet. Als sie in den Schatten der königlichen Septe auf der anderen Seite des Hofes trat, fror Arya vor Schweiß. Niemand hatte sie angerufen.
Die Septe stand offen und war verlassen. Drinnen brannte ein halbes Hundert Kerzen in duftender Stille. Arya dachte sich, die Götter würden zwei davon wohl kaum vermissen. Diese schob sie in den Ärmel und stieg durch ein Hinterfenster hinaus. Zu der Gasse zu schleichen, in der sie den einohrigen Kater gestellt hatte, war einfach, danach verlief sie sich. Sie kroch in Fenster hinein und wieder daraus hervor, kletterte über Mauern und tastete sich durch dunkle Keller, still wie ein Schatten. Einmal hörte sie eine Frau
weinen. Fast eine Stunde brauchte sie, um das niedrige, schmale Fenster zu finden, das hinunter in den Kerker führte, wo die Ungeheuer warteten.
Sie warf ihr Bündel hinein und machte kehrt, um ihre Kerze anzuzünden. Es war riskant. Das Feuer, das sie dort gesehen hatte, war bis fast zur Asche heruntergebrannt, und sie hörte Stimmen, als sie an die Kohlen blies. Mit den Händen um die flackernde Kerze kletterte sie, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, in dem Moment zum Fenster hinaus, als die Leute durch die Tür traten.
Diesmal machten ihr die Ungeheuer keine Angst. Fast schienen sie wie alte Freunde. Arya hielt die Kerze über ihren Kopf. Bei jedem Schritt bewegten sich die Schatten an den Wänden, als wandten sie sich um und sähen sie vorübergehen. »Drachen«, flüsterte sie. Sie zog Nadel unter ihrem Umhang vor. Die schlanke Klinge wirkte sehr klein, und die Drachen wirkten sehr groß, trotzdem fühlte sich Arya mit Stahl in der Hand weit besser.
Der lange, fensterlose Korridor hinter
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