Das Lied von Eis und Feuer 03 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 03 - A Clash of Kings (Pages 1-332)
fragte sich, wie es ihr wohl ging. Es erfüllte ihn mit Traurigkeit, dass er ihr vielleicht nie wieder das Haar zerzausen würde. Mehrmals ballte er die Hand zur Faust und öffnete sie wieder, um die Finger zu dehnen. Wenn er zuließ, dass seine
Schwerthand steif wurde, könnte dies sein Ende bedeuten, das wusste er. Jenseits der Mauer brauchte ein Mann seine Klinge.
Jon fand Samwell Tarly bei dem anderen Burschen, wo er seine Pferde tränkte. Er musste insgesamt drei versorgen, sein eigenes und zwei Packtiere. Letztere trugen jeweils einen großen Käfig aus Draht- und Weidengeflecht voller Raben. Die Vögel schlugen mit den Flügeln, als Jon sich näherte, und kreischten ihn durch die Stäbe an. Einige ihrer Schreie klangen verdächtig nach Wörtern. »Hast du ihnen das Sprechen beigebracht?«, fragte er Sam.
»Nur ein paar Wörter. Drei von ihnen können Schnee sagen. «
»Ein Vogel, der meinen Namen krächzt, reicht mir schon«, meinte Jon und spielte auf Mormonts Raben an.
»Habt ihr in Weißbaum etwas gefunden?«
»Knochen, Asche und leere Häuser.« Jon reichte Samwell das zusammengerollte Pergament. »Der Alte Bär sagt, du sollst Aemon dies schicken.«
Sam holte einen Vogel aus dem Käfig, streichelte sein Gefieder und befestigte die Nachricht. »Flieg heim, mein Tapferer. Heim.« Der Rabe krächzte etwas Unverständliches zur Antwort, und Sam warf ihn in die Luft. Flatternd stieg er durch die Bäume zum Himmel auf. »Ich wünschte, er würde mich mitnehmen.«
»Immer noch?«
»Na ja«, sagte Sam, »schon, aber … ich habe nicht mehr so große Angst wie früher, ehrlich. In der ersten Nacht habe ich jeden, der aufstand, um Wasser zu lassen, für einen Wildling gehalten, der mir die Kehle durchschneiden wollte. Ich hatte Angst, wenn ich die Augen zumachte, würde ich sie nie wieder öffnen, nur … na ja, irgendwann dämmerte es.« Er setzte ein mattes Lächeln auf. »Vielleicht bin ich ein Feigling, aber dumm bin ich bestimmt nicht. Meine Beine und mein Rücken schmerzen vom Reiten und vom Schlafen auf
der harten Erde, aber eigentlich habe ich gar nicht mehr so große Angst. Hier, schau.« Er streckte die Hand aus, damit Jon sich überzeugen konnte, dass sie nicht zitterte. »Ich habe an meinen Karten gearbeitet.«
Die Welt ist eigenartig , dachte Jon. Zweihundert tapfere Männer waren von der Mauer aufgebrochen, und der Einzige, der nicht von wachsender Furcht gepeinigt wurde, war Sam, der sich selbst stets der Feigheit bezichtigte. »Wir werden noch einen Grenzer aus dir machen«, scherzte er. »Nächstens willst du wie Grenn zu den Vorreitern gehören. Soll ich mal mit dem Alten Bären sprechen?«
»Wag das ja nicht!« Sam zog die Kapuze seines enormen schwarzen Mantels hoch und stieg unbeholfen auf sein Pferd. Es war ein Ackergaul, groß und langsam, aber immerhin konnte das Tier sein Gewicht tragen, anders als die kleinen Pferde, die die Grenzer ritten. »Ich hatte gehofft, wir würden heute Nacht in dem Dorf bleiben«, sagte er wehmütig. »Wäre schön gewesen, ein Dach über dem Kopf zu haben.«
»Die Dächer hätten nicht für uns alle gereicht.« Jon stieg wieder auf, lächelte Sam zum Abschied zu und ritt davon. Die Kolonne war inzwischen wieder unterwegs, daher bog er ab, um das Gedränge im Dorf zu umgehen. Von Weißbaum hatte er genug gesehen.
Geist tauchte so plötzlich aus dem Unterholz auf, dass das Pferd scheute und sich aufbäumte. Der weiße Wolf jagte stets weit von den Menschen entfernt, doch war ihm kaum mehr Glück beschieden als der Abteilung, die Kleinwald ausgesandt hatte, um Wild zu besorgen. Die Wälder waren genauso leer wie die Dörfer, hatte Dywen eines Nachts am Feuer erzählt. »Wir sind eine große Truppe«, hatte Jon erwidert, »das Wild fürchtet sich vielleicht.«
»Vor irgendetwas fürchtet es sich, kein Zweifel«, antwortete Dywen.
Nachdem sich das Pferd wieder beruhigt hatte, trabte Geist neben ihm her. Jon holte Mormont ein, der sich gerade
einen Weg um ein Weißdorngebüsch herum suchte. »Ist der Vogel unterwegs?«, fragte der Alte Bär.
»Ja, Mylord. Sam bringt ihnen das Sprechen bei.«
Der Alte Bär schnaubte. »Das wird er noch bereuen. Die verdammten Viecher machen viel Lärm, aber sie sagen nie das, was man hören möchte.«
Schweigend ritten sie dahin, bis Jon fragte: »Wenn mein Onkel diese Dörfer schon verlassen vorgefunden hat …«
»… hat er mit Sicherheit alles daran gesetzt, den Grund dafür zu erfahren«, beendete Lord Mormont
Weitere Kostenlose Bücher