Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
riesige
Steinrippen wie die Stämme großer bleicher Bäume aus der Erde. Der Anblick ließ Aerons Herz schneller schlagen. Nagga war der erste Seedrache gewesen, das mächtigste Drachenweibchen, das sich je aus den Wellen erhoben hatte. Sie fraß Kraken und Leviathane und ertränkte in ihrem Zorn ganze Inseln, und doch hatte der Graue König sie erschlagen, und der Ertrunkene Gott hatte ihre Knochen in Stein verwandelt, damit die Menschen niemals aufhören würden, den Mut des Ersten ihrer Könige zu bewundern. Naggas Rippen wurden zu den Säulen und Trägern seiner Langhalle, so wie ihre Kiefer seinen Thron bildeten. Eintausendundsieben Jahre herrschte er hier, erinnerte sich Aeron. Hier hat er seine Meerjungfrau zum Weib genommen und seinen Krieg gegen den Sturmgott geplant. Von hier aus herrschte er über Stein und Salz, trug Gewänder aus gewobenem Seegras und eine hohe, bleiche Krone aus Naggas Zähnen.
Doch das hatte in der Morgendämmerung der Zeit stattgefunden, als noch mächtige Männer auf der Erde und dem Meer wandelten. Die Halle war von Naggas lebendem Feuer gewärmt worden, das sich der Graue König untertan gemacht hatte. An den Wänden hingen Behänge aus silbernem Seegras, ein wahrer Augenschmaus. Die Krieger des Grauen Königs taten sich am Reichtum des Meeres gütlich, sie saßen an einem Tisch in Form eines großen Seesterns, auf Thronen, die aus Perlmutt geschnitzt waren. Dahin, all die Herrlichkeit ist dahin. Heute waren die Männer kleiner. Ihr Leben währte kürzer. Der Sturmgott hatte Naggas Feuer nach dem Tod des Grauen Königs ertränkt, die Stühle und Wandbehänge waren gestohlen worden, das Dach und die Wände verrotteten. Sogar der große Thron des Grauen Königs aus Fangzähnen war vom Meer verschluckt worden. Nur Naggas Gebeine überdauerten, und sie erinnerten die Eisenmänner an die vergangenen Wunder.
Das genügt, dachte Aeron Graufreud.
Neun breite Stufen waren in die felsige Hügelkuppe geschlagen
worden. Dahinter erhoben sich in der Ferne die schroffen Berge von Alt Wiek mit ihren schwarzen, rauen Gipfeln. Aeron hielt dort, wo sich einst die Türen befunden hatten, inne, zog den Korken aus seinem Wasserschlauch, trank einen Schluck Salzwasser und wandte sich der See zu. Wir wurden aus dem Meer geboren, und ins Meer müssen wir zurückkehren. Selbst hier hörte er noch das endlose Grollen der Wellen und spürte die Macht des Gottes, der unter der Wasseroberfläche schlummerte. Aeron fiel auf die Knie. Du hast dein Volk zu mir geschickt, betete er. Sie haben ihre Hallen und Hütten verlassen, ihre Burgen und Bergfriede, und sie sind zu Naggas Gebeinen gekommen, aus allen Fischerdörfern und versteckten Tälern. Jetzt gewähre ihnen die Weisheit, den wahren König zu erkennen, wenn er vor ihnen steht, und die Kraft, den falschen zu meiden. Die ganze Nacht betete er, denn wenn der Gott in ihm war, brauchte Aeron Graufreud keinen Schlaf, genauso wenig wie die Wellen oder die Fische im Meer.
Dunkle Wolken trieb der Wind vor sich her, als sich das erste Licht in die Welt stahl. Der schwarze Himmel wurde grau wie Schiefer; das schwarze Meer verwandelte sich in Graugrün; die schwarzen Berge von Groß Wiek jenseits der Bucht nahmen die blaugrüne Schattierung von Soldatenkiefern an. Während sich die Farbe wieder in die Welt schlich, erwachten hundert Banner und begannen zu flattern. Aeron sah den Silberfisch von Botlin, den blutigen Mond von Wynch, die dunkelgrünen Bäume von Orgwald. Er sah Kriegshörner und Leviathane und Sensen und überall große und goldene Kraken. Darunter rührten sich die ersten Leibeigenen und Salzweiber, stocherten in der Glut der Feuer, bis diese neu aufloderten, oder nahmen Fische für das Frühstück der Kapitäne und Könige aus. Das Licht der Dämmerung breitete sich über dem steinigen Strand aus, und Aeron schaute zu, wie die Männer erwachten, die Decken aus Seehundsfell zur Seite schlugen und nach dem ersten Horn Bier riefen. Nehmt einen großen Schluck, dachte er, denn heute haben wir des Gottes Werk zu tun.
Auch das Meer regte sich. Die Wellen wurden höher, als der Wind auffrischte und Gischt gegen die Langschiffe wehte. Der Ertrunkene Gott erwacht, dachte Aeron. Er hörte seine Stimme aus den Tiefen des Meeres aufsteigen. An diesem Tage werde ich bei dir sein, mein starker und getreuer Diener, sagte die Stimme. Kein Gottloser wird auf meinem Meersteinstuhl sitzen.
Dort, unter dem Bogen von Naggas Rippen, fanden ihn seine Ertrunkenen, wie
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