Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)
Revolvers an seiner Schläfe spürte. Nick der Schmale stand über ihm.
»Ein wenig mehr Contenance, wenn ich bitten darf. Wir sind hier an der Ostküste.« Nick der Schmale sagte dies mit solcher Ernsthaftigkeit, dass Anevay ihn verwundert anblickte. Wer hätte gedacht, dass unter so vielen Muskeln solch vornehme Gedanken stecken konnten.
Der Hund kam zurück, er hatte sich zwischen dem Unrat Deckung gesucht. Es war ein kleiner, scheckiger Bursche mit einem hängenden Lid und gestutzter Rute. Kaum größer als eine Ratte. Er kam auf A zu, schnüffelte an ihren Segelschuhen und setzte sich.
Sie kniete sich hin und sofort begann der Stummel hinten zu wedeln. Seine Vorderpfoten sahen übel aus, als hätte jemand etwas Heißes darüber gegossen.
»Das ist ja ne Tittenschlampe!«, erkannte der Schläger. »Mich hat 'ne Schlampe besiegt?« Der Abzug klickte.
»Wie ist dein Name?« Nick der Schmale fragte so unbeschwert, als wolle er nur plaudern.
»Toni, Toni Travesto.«
»Nun Toni, ich mag zwei Dinge. Meinen 45er Colt Peacemaker und meine Mama. Sagst du noch einmal Schlampe, verteile ich dein Hirn gleich hier auf der Straße und spiele Murmeln mit deinen Eiern, ist das klar soweit?«
Erschrockenes Nicken.
Anevay stand auf. Dozer gab Zeichen, dass der heutige Rundgang beendet war. Nick der Schmale steckte den Revolver in sein Holster, aber vorher krachte seine breite Faust in das Gesicht von Toni, A hörte, wie der Kiefer brach. Es war ein fast lautloses Knirschen. Ab jetzt gab es nur noch Suppe.
»Wenn du vor Mitternacht aufstehst, komme ich zurück, klar soweit?« Der Mann weinte. Anevay glaubte Nick.
Sie gingen gemeinsam zurück. Der Hund klebte an ihr wie eine Klette. A nahm ihn hoch. Er stank erbärmlich, wonach, wollte sie nicht wissen. Als sie am Auto ankamen, tippte sie auf die Schulter von Nick.
»Hier, ich schenke ihn dir.« Nick der Schmale sah sie verwundert an, aber er streckte sofort die riesigen Hände aus. Der kleine Stinker verschwand fast darin. Konnten Finger auch solche Muskeln haben?
»Das ist sehr nett von dir, Nove.« Mehr sagte er nicht, aber sie sah, dass sie gerade zwei Dinge zusammengefügt hatte und das erfüllte sie mit einem kleinen Blitz Helligkeit am Horizont.
Es war kalt in dem Zimmer. A presste den Kompass zärtlich an ihre Brust. Es war das Einzige, das sie noch hoffen ließ. Jede Nacht weinte sie. Sie konnte nicht damit aufhören. Etwas zerdrückte immerzu ihre Gedanken, ganz so, als wäre sie etwas, das man an einen Ort geschickt hatte, den niemand kannte.
Sie alle waren nett zu ihr. Francesca war wie eine Glucke, die immerzu nach dem Rechten sah, Dozer war der stille Baum, der Schutz bot und Leonardo hegte sie wie ein ständig wachsendes Gut. Als poliere er eine Statue aus Gold.
Dennoch brach mit jeder kommenden Dunkelheit ihre Welt in Stücke, so sehr sie diese auch zusammenzuhalten versuchte. Das kalte Metall des Kompasses half ihr, nicht verrückt zu werden.
A hatte die Decke wie einen Iglu über sich gelegt und starrte aus dem Fenster. Schwere Wolken trieben von Norden her über die Stadt. Der Kompass ruhte auf ihrer Haut, eine Hand darüber, weil sie den Kontakt liebte. Behutsam öffnete sie den Deckel.
Tränen rannen ihre Wangen hinunter, ganz leise, denn niemand sollte sie je so sehen.
Sie igelte sich ein, zog die Decke ganz über ihren Kopf und auch über ihr Herz.
›Warum hast du mir nie etwas gesagt, Papa?‹ Alles krümmte sich um diese eine Frage. Sie schluckte die anderen, wütenden Worte hinunter. ›Wo bist du nur?‹ Es waren verzweifelte Fragen, denen sie nicht entkommen konnte. ›Wieso war da nicht mehr? Ein Wink, ein Hinweis, ein Brief .‹
Plötzlich summte etwas ganz leise. Dann begann die Windrose durch ihre Finger zu schimmern, in einem goldenen Licht, das bis durch das Metall drang. Verwirrt schaute Anevay auf den Kompass, die Nadel drehte sich wild, was sie nie zuvor getan hatte, und zeigte schließlich nach Osten. Sie legte das dunkelgraue Gehäuse aus der Hand, beugte sich darüber, doch dann wich sie erschrocken zurück, denn das Ding begann sich zu entfalten.
Mit einem metallischen Klicken fuhren Bänder aus dem Gerät, fächerten sich auf. Die Rose sank hinab, dafür zeigten immer mehr Arme - ›oder waren es Wege?‹, hinaus in ihre Welt. Ein Labyrinth gebar sich selbst! Es war unglaublich. Das war Magie.
Mit einem Ruck lupfte sie die Decke, sah ängstlich zur Tür, horchte, nichts. Sie schlüpfte wieder darunter, hoffte,
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