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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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offenbar haben die Menschen in ihrer Umgebung, speziell die in der Bäckerei, etwas gegen dein ›Kümmern‹.«
    Lella nickte mit gesenktem Kopf, doch plötzlich hob sie ihren Blick vom Boden, und in ihren Augen konnte ich denselben entschlossenen Ausdruck sehen, mit dem sie heute Morgen vor meiner Hotelzimmertür gestanden hatte.
    »Natürlich wollen sie nicht, dass ich Matilde habe, Teresa hat Matilde nie geliebt ˿ sie wird vor Wut platzen, die falsche Schlange. Gestern Abend habe ich erfahren, dass sie alle Sachen meines Bruders aus dem Haus...«
    Sie hielt sich beide Fäuste vor die Stirn, nahm sie aber sofort wieder runter.
    Wer war Teresa?, fragte ich mich. Nun, vielleicht würde ich das noch erfahren.
    »In Bagheria sitzt Matilde den ganzen Tag in ihrem Zimmer vor dem Fernseher und glotzt Walt-Disney-Filme, bis ihr die Augen flimmern. Teresa, also Matildes Großmutter, redet kaum mit ihr, sie gibt nur Kommandos und steckt sie in billige Jogging-Anzüge oder kratzige Kleider aus dem Supermarkt, dabei kassiert sie eine saftige Rente, die Matilde seit Leonardos Unfall bekommt.« Lella starrte wieder auf den Fußboden des Abteils. »Es war ein Arbeitsunfall.« Nach einer Pause fuhr sie fort:
    »Noch nicht einmal in den Kindergarten schickt die sie. Ich habe nie verstanden, warum. Es gibt in Bagheria sogar einen
zweisprachigen Kindergarten, in dem sie Deutsch hätte lernen können. Aber natürlich will sie nicht, dass sie Deutsch lernt. Pah, niemals, sie lernt bei denen überhaupt nichts. Ein Wunder, dass sie so aufgeweckt ist, wie sie ist!«
    Zärtlich schmiegte Lella sich an Matildes Rücken und küsste sie auf den Nacken. Für einen Augenblick war die Anspannung aus ihrem Körper verschwunden. Ich beugte mich unwillkürlich vor, um den Ansatz der beiden Halbkugeln besser sehen zu können, die dabei in ihrem Ausschnitt leicht nach vorne fielen. Ihre Augen erwischten meinen Blick. Schnell schaute ich wieder durch die schmutzigen Scheiben hinaus. Sie sollte mich nicht für irgendeinen aufdringlichen Idioten halten.
    »Und Gaetano war immer wie ein Klumpen Hefeteig, ging auf und fiel dann doch wieder in sich zusammen«, hörte ich sie leise in Matildes Nacken murmeln.
    Gaetano, das wusste ich, war der weinende nonno mit den großen, runden Ohren. Was für ein Durcheinander. Vor dem Fenster zogen Palmen vorbei, Felsen, dann führten die Gleise den Zug ganz nah am Wasser entlang, für ein paar Hundert Meter schlugen die Wellen friedlich und verlockend an einen Sandstrand.
    Friedlich und verlockend! Brigida hätte jetzt aufgelacht: »O Gnade, Phil! Das ist ein Privatstrand, den sich ein Mafioso gekauft hat und den jetzt außer ihm niemand mehr benutzen darf.« Brigida durchschaute solche Dinge. Die Küste da draußen interessierte mich plötzlich nicht mehr, sie ließ mich an Brigida denken, alles ließ mich fatalerweise an Brigida denken. Immerzu wusste ich schon im Voraus, was sie sagen würde, vernichtende Kommentare eines Radiosenders, den man nicht abstellen konnte.

    Ich drehte mich zu Lella und betrachtete sie und das lautlose Kind neben ihr. Ich hatte etwas Nettes sagen wollen, aber in mir echoten Brigidas ätzende Worte nach.
    »Und du bist sicher, dass sie bei dir bleiben will?«
    »Natürlich!«
    »Nun, noch hält sie das wahrscheinlich alles für einen schönen Ausflug.« Ich dehnte die Worte. Ein Teil von mir legte es plötzlich darauf an, Lella tatsächlich wehzutun. Ich musste ihr nichts beweisen, ich konnte mich benehmen, wie ich wollte. »Nun, wer weiß, in ein paar Tagen will sie vielleicht wieder zurück, sie ist doch erst vier. Du reißt sie mitten aus ihrer gewohnten Umgebung ˿ ob das nun das dunkle Wohnzimmer oder zu viele Zeichentrickfilme sind, es ist ihr Zuhause. Was machst du dann?«
    Lella biss erneut auf ihren Daumenknöchel und erwiderte nichts. Nun hielt sie mich endgültig für einen unsympathischen Besserwisser, und zu Recht. Wäre ich ein bisschen einfühlsamer, hätte ich an den Ringen unter ihren Augen erkennen können, dass sie über diese Dinge vermutlich die ganze letzte Nacht nachgedacht hatte. Der Zug hielt.
    »S. Agata di Militello«, las ich. »Meine Güte, dieser Zug hält wirklich überall, wir kommen ja überhaupt nicht vorwärts. Noch zwei Stunden für die paar Kilometer bis nach Milazzo. Intercity-Züge sind hier allem Anschein nach unbekannt.«
    »Es gab einen, den haben wir leider um ein paar Minuten verpasst.«
    »Einen.« Mein Schnauben klang gemeiner als

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