Das Locken der Sirene (German Edition)
und damit leichtsinnigerweise versucht, den Dämon dieser Liebe aus ihrem Herzen zu vertreiben. Sobald Wesley das Buch ausgelesen hätte, würde er alles wissen. Er wüsste um die guten und schlechten Seiten ihrer Liebe, er wüsste, dass sie ihn wollte. Und warum. Sie waren immer so glücklich gewesen in ihrem kleinen seltsamen Paradies, das sie sich erschaffen hatten. Aber jetzt spürte sie, dass sie aus dem Paradies vertrieben wurden. Und sie hatte niemanden, den sie für ihren Sündenfall verantwortlich machen konnte.
Nora kehrte in ihr Büro zurück und setzte sich an den Schreibtisch. Draußen pfiff der letzte Winterwind um das Haus. Wesley las ihr Buch. Sie öffnete den gespeicherten Entwurf und legte die Hände auf die Tastatur. Was konnte sie jetzt noch tun, außer zu schreiben? Wenigstens wusste sie nun, wie die große Schlüsselszene ausging. William würde versuchen, Caroline so zu lieben, wie sie es wollte. Er würde es versuchen und daran scheitern. Und in diesem Moment würde sich zwischen ihnen eine Kluft auftun, die so tief und breit war, dass keiner von ihnen zur anderen Seite sehen konnte. Der Augenblick, in dem sie sich beide am meisten bemühten, zusammenzukommen, war auch der, in dem sie für immer auseinandergerissen wurden.
Arme Caroline, dachte Nora und wischte sich eine verirrte Träne aus dem Augenwinkel.
Armer William.
30. KAPITEL
D onnerstagabend um 23 Uhr 48 tippte Nora den letzten Punkt ihres Buchs. Sie speicherte das Dokument ab und fuhr den PC herunter. Sie konnte sich kaum ein Lächeln verkneifen, als sie aus dem Arbeitszimmer eilte und auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer noch mal bei Wesley reinschaute. Die ganze Woche nach der Lektüre ihres Buches war er recht still gewesen, ohne wütend auf sie zu wirken.
Sie hätte so gern mit ihm über das gesprochen, was an Ostern passiert war, aber sie wusste, dass sie ihn mit dem Gedanken daran allein lassen musste. Sie konnte nachts kaum schlafen, weil die Flut der Erinnerungen sie immer wieder überkam: Wesleys Hände und sein Mund, wie dicht sie davorgestanden hatten, miteinander zu schlafen. Die ganze Zeit hatte er sie mehr begehrt, als sie sich hatte vorstellen können. Er war bereit gewesen, ihr seine Jungfräulichkeit zu schenken, ihr seinen Körper zu geben. Ihr Wesley – der Mann, der nie Sex mit jemandem haben wollte, den er nicht liebte. Wesley liebte sie … Ach, was sollte sie mit diesem Jungen nur machen?
Der fragliche Junge sollte eigentlich tief und fest schlafen. Doch er drehte sich im Bett zu ihr um und lächelte sie im Dunkeln an.
„Du musst morgen um halb neun an die Uni“, erinnerte sie ihn. Sie betrat sein Zimmer und setzte sich auf die Bettkante.
„Die Veranstaltung fällt aus, Professor Matheny ist krank. Oder er will einfach schon früher ins Wochenende. Wie auch immer, ich kann morgen ausschlafen.“
„Glückwunsch.“ Sie fuhr mit der Hand durch sein derangiertes Haar. „Darf ich dir ein Geheimnis verraten?“
Wesley stützte sich auf die Ellbogen. „Klar.“
Sie beugte sich vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich habe das Buch fertig.“
„Ist das dein Ernst?“ Wesley bog den Kopf zurück und musterte sie prüfend.
„Ja, gerade eben. Es sind noch irre viele Rechtschreib- und Tippfehler drin, aber das Buch als solches ist fertig. Und es ist gut geworden.“
Wesley legte die Arme um sie. „Das ist fantastisch, Nora. Ich bin so stolz auf dich.“
Sie erwiderte die Umarmung und ließ ihn als Erste los. „Wir feiern das morgen Abend. Wir feiern das beste Buch, das ich jemals geschrieben habe und das niemand je lesen wird.“
„Auf jeden Fall. Aber ich denke, irgendwer wird es eines Tages lesen. Es ist einfach zu gut, um in der Schublade zu versauern.“
„Vielleicht. Aber darum mache ich mir jetzt erst mal keine Sorgen. Und du übrigens auch nicht. Zeit, ins Bett zu gehen.“
Nora wollte sein Schlafzimmer verlassen, aber Wesley rief ihren Namen.
„Was ist los, Kleiner?“
„Morgen Abend, wenn wir feiern, möchte ich mit dir noch über etwas reden.“
„Über uns?“
„Über mich. Es ist nicht Schlimmes, das verspreche ich dir. Es gibt nur etwas, das ich dir sagen muss. Also, eigentlich muss ich dir eine Menge sagen.“
„Morgen. Das ist ein Date, weißt du das? Nacht, Süßer!“
Nora beugte sich zu ihm herunter und küsste seine Stirn. Aber in der letzten Sekunde hob Wesley ihr das Gesicht entgegen und drückte die Lippen auf ihre. Nora war zu überrascht, um sich zu bewegen.
Weitere Kostenlose Bücher