Das Locken der Sirene (German Edition)

amüsierte sie irgendwie, dass Søren und sie zugleich Verschwörer und Gegner waren. „Er erstickt an seinen eigenen Geheimnissen, also muss ich ihn brechen. Aber wie? Seine unerträgliche britische Haltung ist kaum zu durchdringen. Das Letzte, was er braucht, ist, an ein Kreuz gebunden und mit der Peitsche traktiert zu werden.“
    „Da stimme ich dir zu. Das würde ihn allenfalls kränken. Ich habe diese Schuldgefühle schon einmal gesehen. Er hat jemandem sehr wehgetan.“
    Nora hörte deutlich heraus, dass ihr Lehrer ihr mit der letzten Bemerkung einen Hinweis gab. „Er hat seiner Frau wehgetan.“
    „Dann weißt du ja, was du zu tun hast.“ Søren lächelte sie stolz an. Sie war schon immer seine beste Schülerin gewesen.
    „Ich muss ihn dazu bringen, mir wehzutun?“
    „Ja, Kleines. Bring ihn dazu, dir wehzutun.“
    „Sie sind also Noras neuer Maxwell Perkins, hm?“, fragte Griffin.
    „Nun, ich bin ihr Lektor. Aber Perkins und ich haben ziemlich gegensätzliche Ansichten darüber, wie man ein Werk lektoriert.“
    „Das ist gut. Ich habe es verabscheut, wie ihre Bücher verhunzt wurden, weil ihr Lektor seine Finger nicht von ihrem Text lassen konnte.“
    „Sie lesen also?“, fragte Zach unbeteiligt.
    Griffin warf ihm einen bösen Blick zu. „Ich bin vielleicht ein Flittchen, Max, aber ich bin nicht dämlich. Ich lese Noras Bücher. Sie sind wundervoll. Natürlich ist mein Lieblingsbuch das, welches sie noch nicht geschrieben hat.“
    „Und welches ist das?“
    „Die Nora-Sutherlin-Story.“
    „Das wäre bestimmt ein Pageturner“, stimmte Zach zu. „Hat er eigentlich vor, sie die ganze Nacht bei sich zu behalten?“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. Nora war noch nicht lange fort, aber er wartete trotzdem voller Ungeduld auf ihre Rückkehr.
    „Wenn er will, ja. In dem Augenblick, wo er hier eintrifft, tritt der Ausnahmezustand in Kraft.“
    „Kommt sie oft hierher?“
    „Früher war sie ständig hier. Das wurde von ihr verlangt. Aber vor einem Monat war sie von einem Tag auf den anderen wie vom Erdboden verschluckt.“
    „Da haben wir angefangen, ihr Buch zu bearbeiten“, erklärte Zach.
    „Und sie hat angefangen, dich zu bearbeiten, hm?“ Griffin grinste ihn an.
    Zach versuchte sich davon nicht nervös machen zu lassen. Schließlich waren Nora und Griffin auch gelegentlich Liebhaber.
    „Was meinst du damit, dass von ihr verlangt wurde hierherzukommen?“, fragte Zach nach kurzem Schweigen.
    Aber Griffin lachte bloß und schlug ihm auf die Schulter. „Komm mit. Wir gucken mal, was unten auf dem Parkett so los ist.“
    „Ich sollte jetzt wirklich zurück zu meinem Gast.“ Nora wollte Søren nicht verlassen, aber sie wusste, dass sie gehen musste. Gott allein ahnte, was Griffin in diesem Augenblick Zach erzählte.
    „Noch nicht. Wir müssen doch noch überlegen, wie wir unseren Jahrestag nächste Woche begehen. Oder hast du vergessen, was für ein Tag der nächste Donnerstag ist?“
    „Wenn ich sonst jeden Tag im Jahr vergessen würde, würde ich mich immer an diesen einen erinnern. Aber wir feiern ihn nicht. Weder dieses Jahr noch jemals irgendwann.“
    „Ich verstehe.“ Søren schaute sie kühl an. „War letztes Jahr nicht nach deinem Geschmack?“
    Letztes Jahr – was er in jener Nacht mit ihr getan hatte, war wunderschön und brutal gewesen. Allein die Erinnerung daran schmerzte.
    Wenn du zu mir zurückkommst, wirst du laufen oder kriechen?
    Ich werde fliegen
.
    Nora schüttelte den Kopf. Sie versuchte zu verdrängen, wie sehr sie ihn noch immer wollte.
    „Letztes Jahr war ein Fehler. Das hätte nicht passieren dürfen. Wir sind zu weit gegangen.“
    „Du bist aber nie zufrieden, wenn wir nicht zu weit gehen.“
    „In der Nacht hätte ich Wesley beinahe verloren.“
    „Stimmt. Welches Versprechen hast du ihm noch mal gegeben? Dass er dich verlassen darf, wenn du dich mir jemals wieder hingibst? War es nicht so?“
    „Das kannst du ihm kaum verdenken, oder? Er versteht uns nicht.“
    „Dessen bin ich mir sicher.“ Søren streichelte zärtlich ihre Wange. Diese Finger, dachte sie. Diese Hände. Hände, die jeden Winkel ihres Körpers kannten. Wie der Besitzer dieser Hände jeden Winkel ihrer Seele kannte. „Meine Eleanor – du bist ein Wesen voll göttlicher Unzufriedenheit.“
    „Göttliche Unzufriedenheit?“
    „Das ist Gottes kleines schmutziges Geheimnis. Er lässt dich leiden, Kleines, bis er dir Weisheit schenkt.“
    „Bitte halte mir keine Moralpredigten