Das Löwenamulett
bei uns.«
Ich hielt die Luft an. Was wollte Delia ihrem Vater alles erzählen? Wie würde er reagieren?
»Was sagst du da?« Ovid starrte seine Tochter mit großen Augen an. Wir zerrten ihn unbarmherzig in die Realität. Er hörte Delia und mir aufmerksam zu, schnappte hier und da nach Luft und schüttelte immer wieder den Kopf, als wir ihm von den Ereignissen der letzten Nacht, von unseren Nach-forschungen und unserem Verdacht erzählten.
»Das ist doch … also …« Der Dichter suchte nach Worten, als wir unseren Bericht beendet hatten. »Dieser Sklave war gestern Nacht bei euch im Schlafzimmer?« Erst langsam schien er zu begreifen, was er gerade gehört hatte. »Und ihr 105
wart bei einer Gladiatorentruppe?« Er fasste sich an den Kopf. »Und in der Subura? Das ist ja wohl …«
»Papa«, sagte Delia, »du musst dich nicht aufregen! Setz dich bitte und beruhige dich! Uns ist ja nichts passiert.«
»Also, das ist doch …« Ovid ließ sich auf seinen Stuhl fallen und schüttelte ununterbrochen den Kopf. »Das gibt es doch gar nicht!«
Ich beobachtete ihn gebannt. Er schien eine ganze Zeit lang nicht recht zu wissen, wie er reagieren sollte. Sollte er aus der Haut fahren? Uns Vorwürfe machen? Sich freuen, dass uns nichts passiert war?
»Das Löwenamulett!«, sagte er schließlich und tippte sich an die Stirn. »Ich habe doch geahnt, dass mehr dahinter-steckt. Auf der Straße gefunden …« Er schüttelte wieder den Kopf. Offenbar hatte er beschlossen, nicht aus der Haut zu fahren.
»Wir müssen etwas tun«, sagte Delia energisch und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
»Warum?«, fragte ihr Vater und blickte sie erstaunt an.
»Myron ist doch nicht unser Sklave.«
»Aber er ist unschuldig!«, rief Delia entsetzt. »Davon bin ich überzeugt.« Ihre Augen wurden feucht. »Er ist ein guter Mensch, Papa. Bitte, glaub mir! Auch wenn er nur ein Sklave ist.« Jetzt kullerten dicke Tränen über ihre Wangen. Delia wischte sie mit dem Ärmel ihrer Tunica fort.
Ovid seufzte. »Ja«, sagte er, »ich glaube dir. Aber wer wird das noch tun? Der Praetor bestimmt nicht. Der will einen eindeutigen Beweis. Und den hat er.«
»Du meinst …?«
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»Ja, Myron wurde mit einem Dolch in der Hand mitten in der Nacht vor seinem niedergeschlagenen Herrn erwischt.
Ich fürchte, das ist dem Praetor Beweis genug. Das, was ihr habt, sind Vermutungen. Begründete Vermutungen, die vielleicht der Wahrheit entsprechen. Aber nur vielleicht. Wahrscheinlich ist es ungerecht, was Myron passieren wird. Aber wir können nichts dagegen tun, weil wir den Täter nicht überführen können.«
»Aber …« Delia blickte ihren Vater fassungslos an.
»Ihr habt doch selbst gesagt, dass es von diesen Amuletten Hunderte, vielleicht Tausende in der Stadt gibt.«
Wir wussten beide, dass er recht hatte. Wir wussten es nur zu gut.
»Ja«, sagte Delia und schniefte. »Aber die Zeit läuft uns davon. Bitte, Papa. Hast du nicht eine Idee?«
Ovid wiegte den Kopf. »Es gibt da vielleicht etwas, was ich versuchen könnte. Aber ob das Myron hilft …«
»Erzähl doch!«, bat Delia.
»Senator Corvinus besucht mich heute Nachmittag. Er möchte sich ein paar Verse aus meinen Verwandlungsgeschichten anhören. Ich kann ja mal mit ihm über die Ange-legenheit sprechen.«
»Und was soll das nützen?«, fragte Delia enttäuscht. »Cor-vinus ist ein alter Mann.«
Ovid hob drohend den Zeigefinger. »Täusch dich nicht, mein liebes Töchterchen. Senator Corvinus mag alt sein, sogar sehr alt, aber er ist immer noch einer der einflussreichs-ten Senatoren dieser Stadt.«
»Was willst du damit sagen?«
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»Dass er Freunde hat, mächtige Freunde. Viele hören auf sein Wort. Vielleicht auch der zuständige Praetor. Wer auch immer das ist, aber das wird Corvinus wissen. Er könnte dem Praetor nahelegen, den Fall genauer zu untersuchen, euren Vermutungen nachzugehen. Oder wenigstens mit Myrons … äh … Behandlung ein paar Tage zu warten.«
»Gut!«, rief Delia. »Das soll er tun. Das muss er unbedingt tun. Senator Corvinus soll dem Praetor so richtig Feuer un-term Hintern machen.«
»Aurelia, bitte!«
»Tut mir leid. Und wir können in der Zwischenzeit Beweise sammeln.«
»Das werdet ihr schön bleiben lassen!« Ovid blickte uns streng an. »Das ist viel zu gefährlich für euch. Darum soll sich der Praetor kümmern.«
»Aber wenn du Senator Corvinus nicht überzeugen kannst? Wenn er nichts unternimmt?«
Ovid zuckte mit den Schultern.
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