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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schwieger
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überlegen sollen.
    Pacuvius zuckte schwach mit den Schultern. »Ist schon zehn Jahre her«, sagte er und räusperte sich. »Ich war damals sieben Jahre alt. Wir lebten auf dem Land, auf einem kleinen Bauernhof etwa eine halbe Tagesreise vor der Stadt bei Tusculum. Der Hof war nicht groß, aber er gehörte uns.
    Mein Vater hatte ihn von seinem Vater geerbt, der wieder-um von seinem Vater und so weiter. Seit dem großen Han-nibalkrieg lebte meine Familie auf diesem Stück Land. Es war nicht einfach, wir waren nicht reich, konnten uns gerade 95

    mal das Nötigste leisten, aber wir waren freie römische Bürger.«
    »Was ist passiert?«, fragte Delia.
    Pacuvius faltete die Hände auf dem Tisch. »Missernten.
    Zwei Jahre hintereinander. Beißender Frost im Winter, zu viel Regen im Frühjahr, brennende Hitze im Sommer – das war’s. Wir konnten kaum etwas von der Ernte einbringen.
    Mein Vater ging zu unserem Patron – und der versprach ihm Hilfe.«
    »Das ist doch prima«, sagte ich.
    Pacuvius schnaufte verächtlich. »Die Hilfe bestand darin, dass er unser Land für einen lächerlichen Preis kaufte. Wir mussten den Hof räumen und sind in die Stadt gezogen. Der Patron hat unser Haus abreißen und sich dort eine prächtige Villa hinbauen lassen. Wie konnten wir nur so dumm sein und auf sein Angebot eingehen?« Pacuvius blickte uns mit glühenden Augen an. Eine Antwort schien er nicht zu erwarten. »Ich war damals noch ein kleiner Junge, meine Eltern zu gutgläubig. Oder einfach nur verzweifelt. In der Nacht vor dem Morgen, an dem wir nach Rom aufbrechen wollten, starb meine Mutter. Sie schlief ruhig ein und wachte nicht mehr auf. Einfach so. Aus Trauer und Gram, sagte mein Vater. Er selbst ist zwei Jahre später in Charons Nachen gestie-gen. Wir wohnten damals in einem heruntergekommenen Mietshaus, gar nicht weit von hier. Wir teilten uns ein enges Zimmer. Mein Vater brachte uns mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsarbeiten über die Runden. Im Winter packte ihn ein schlimmes Fieber, er konnte sich keinen Medicus leisten und starb. Und seitdem spaziert er als Schatten zusammen 96

    mit meiner Mutter Hand in Hand durch die Unterwelt und amüsiert sich hoffentlich über diesen blöden Sisyphus, der seinen Felsen nicht mal eine halbe Stunde lang aus der Hand legen kann.«
    Pacuvius lächelte gequält. Delia neben mir schniefte und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Tunica über die Augen. Ich zerkaute beinahe meine Unterlippe und hätte Pacuvius am liebsten tröstend in die Arme genommen – oder dem fiesen Patron von damals den Hals umgedreht, wenn er denn hier gewesen wäre.
    »Und dann haben Onkel Orbilius und Tante Servilia mich zu sich genommen. Onkel Orbilius ist der Bruder meines Vaters. Seit acht Jahren lebe ich nun hier in der Ascaniusgasse und helfe meinem Onkel in der Tischlerei.«
    Für einen Moment hatte ich völlig vergessen, warum wir hierhergekommen waren. Pacuvius selbst hatte uns doch gar nicht interessiert! Wir wollten etwas über Urbicus herausfinden, um ihn zu überführen und damit Myron zu retten.
    Doch Pacuvius’ Schicksal ging mir sehr nah. Ich schaute abwechselnd zu Delia und zu Pacuvius und wusste nicht, was ich sagen sollte.
    »Und ihr?«, fragte Pacuvius in die drückende Stille hinein.
    »Ihr wollt jetzt in diese verrufene Taverne gehen, was?« Sein Blick fiel auf den Käse und die unberührten Aprikosen auf dem Tisch. Sie sahen wirklich köstlich aus, frisch und saftig.
    »Die Aprikosen könnt ihr bestimmt mitnehmen, Tante Servilia wird nichts dagegen haben, wenn ihr …«
    »NEIN!«, platzte es aus mir heraus. Ich konnte einfach nicht mehr an mich halten. Ich wollte Pacuvius nicht weiter 97

    belügen. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen.
    Delia schaute mich entsetzt an.
    »Nein«, sagte ich, »wir wollen nicht in diese furchtbare Kneipe gehen. Aber wir müssen, verstehst du?«
    Pacuvius machte große Augen und schüttelte den Kopf.
    Ich griff nach seiner Hand.
    »Es ist alles ganz anders.« Ich suchte nach Worten. »Wir haben dich belogen. Uns interessiert Urbicus überhaupt nicht.«
    »Doch, er interessiert uns schon«, sagte Delia. »Aber nicht, weil wir ihn besonders toll finden. Im Gegenteil.« Auch sie schien keine Lust mehr zu haben, Pacuvius etwas vorzu-machen.
    Er schaute uns abwechselnd verständnislos an, verzog dann das Gesicht und blickte auf seine Hand. Anscheinend hatte ich sie ein wenig zu kräftig gedrückt. Ich ließ sie los.
    »Wir finden ihn sogar

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