Das Los: Thriller (German Edition)
musterte ihn wieder eine Zeit lang, dann drehte er sich um und verschwand. Pradeep glaubte, gedämpfte Stimmen zu hören, dann erschien der Riese wieder, diesmal in Begleitung von Sushil.
»Pradeep! Mein Freund!«, rief der erfreut und umrundete den Tresen. Er verneigte sich mit vor der Brust gefalteten Händen. Pradeep tat es ihm nach. Auch wenn er kein Angehöriger der Hindus war, verschloss er sich nicht dem Namaste, ihrem traditionellen Gruß.
»Komm, ich habe gerade einen Tee gemacht, wir trinken einen zusammen«, sagte Sushil und zog ihn am T-Shirt hinter sich her. Ihr Weg führte vorbei an durchsichtigen Kisten mit allerlei elektronischen Geräten.
»Was verkauft ihr hier?«, fragte Pradeep.
»Telefone, Navis. Wir kaufen an, und wir verkaufen weiter«, antwortete Sushil.
Pradeep suchte vergeblich nach einer Kasse. Für ihn sah es eher aus wie ein Handy-Friedhof. »Und, läuft’s gut?«, erkundigte er sich, während sie das stickige Hinterzimmer betraten.
»Sehr gut«, antwortete Sushil knapp.
Pradeep fuhr herum, als Sushils Kollege hinter ihnen einen Vorhang zuzog.
Der Raum, in dem sie standen, war genauso groß wie das Geschäft. An einem Tisch in der Ecke saß ein weiterer Mann, den Pradeep ebenfalls nicht kannte. Zu ihrer Rechten bemerkte er mehrere Schlafplätze auf dem Fußboden. In einer kleinen Küchenzeile häufte sich benutztes Geschirr.
Sushil zeigte auf den Tisch. »Setz dich. Das ist Dilip. Er arbeitet für mich.«
Dilip schien mit dem Ausfüllen von Wettscheinen beschäftigt und las zwischendurch eine Sportzeitung. Er hob kurz die Hand zum Gruß, ohne sie danach weiter zu beachten. Anders der Riese: Er folgte ihnen auf Schritt und Tritt, als wäre er so etwas wie Sushils Bodyguard.
Pradeep setzte sich nur widerwillig. Am liebsten wäre er wieder gegangen. Zumal niemand wusste, dass er hier war. Er war früher lange genug mit Sushil unterwegs gewesen und wusste, dass man ihm nicht trauen konnte.
Sein ehemaliger Freund schien sich im Gegensatz zu ihm wohlzufühlen. Er füllte zwei breite Tassen mit einer milchig-roten Flüssigkeit, die angenehm nach Schwarztee, Zimt und Kardamom roch.
Pradeep nahm einen vorsichtigen Schluck. »Der ist gut«, sagte er zu Sushil, der ihn beobachtete.
»Gut für die Nieren«, meinte Sushil und grinste. »Hast du es dir also überlegt?«
Pradeep nickte. »Wie viel genau zahlen deine Bekannten?«
Sushil legte den Kopf in den Nacken. »Das kommt ganz auf die Qualität an.«
»Qualität?«
»Na ja, wie alt du bist, welche Blutgruppe du hast und so weiter. Je seltener, umso besser.«
Wieder nahm Pradeep einen Schluck. Der warme Tee beruhigte ihn. Der Leibwächter stand mit verschränkten Armen hinter Sushil und ließ ihn nicht aus den Augen.
»Mindestens aber vierhunderttausend Rupien. Es sei denn, sie ist kaputt«, meinte Sushil.
Pradeep nickte. Vierhunderttausend Rupien waren genug, um Pandita zu heilen.
»Zweihunderttausend im Voraus, den Rest nach der OP«, ergänzte Sushil.
Bei dem Wort »OP« zogen sich Pradeep die Gedärme zusammen.
»Was ist?«, fragte Suhsil lachend, der offenbar am Gesichtsausdruck seines Gegenübers dessen Unbehagen bemerkt hatte.
»Ich war noch nie im Krankenhaus«, sagte Pradeep.
Nun lachte Sushil noch lauter. »Musst du auch nicht. Die OP findet, wie soll ich sagen, privat statt.«
»Mit Betäubung?«, erkundigte sich Pradeep mit banger Miene.
Sushil nickte. »Ganz professionell. Tut nicht weh. Das sind alles weiße Ärzte aus Europa.«
Eine Weile schwiegen beide.
»Und wer bekommt meine Niere dann«, erkundigte Pradeep sich. Es war eine merkwürdige Vorstellung, dass ein Teil seines Körpers bald in einem anderen Körper weiterleben sollte.
»Das kann dir egal sein«, entgegnete Sushil. »Die meisten gehen aber nach Europa und in die USA. Zu irgendeinem kranken Geldsack.«
Wieder war es eine Weile ruhig.
»Also?«, fragte Sushil ungeduldig.
Pradeep hielt die Teetasse mit beiden Händen fest umklammert. Obwohl es draußen unerträglich schwül war, waren seine Finger jetzt eiskalt. Er gab sich einen Ruck.
»Ich mache es!«, sagte Pradeep entschlossen.
Sushil nickte zufrieden und erhob sich. »Gut, dann wollen wir mal sehen, was du anzubieten hast!«
Er ging zu einem Schrank, der aus grauem Stahl war und viel neuer aussah als das restliche Mobiliar. Sushil öffnete eine Tür und entnahm einen Plastikbeutel. Auf dem Weg zu Pradeep riss er ihn auf und entnahm ihm ein Spritzenbesteck, das er auf den Tisch
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