Das Los: Thriller (German Edition)
dann wurde sein Gesichtsausdruck plötzlich wieder ernst. »Leider muss ich Ihnen etwas mitteilen.« Der Beamte wirkte auf Trisha merkwürdig verlegen. »Herr Freihold wurde bei einer Auseinandersetzung im Gefängnis ernsthaft verletzt. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht, und dort ist er …«
»Gestorben?«, mutmaßte sie.
Die Unsicherheit des Beamten, dem es offensichtlich schwerfiel, ihr mitzuteilen, was er zu sagen hatte, beschämte sie irgendwie. Sie hatte diesen Freihold nicht gekannt; sein vermutlicherweise trauriges Ende würde sie daher nicht allzu sehr betrüben.
Der Beamte schüttelte den Kopf. »Um Gottes willen, nicht unser Henri!«, rief er. »Er ist … getürmt.«
Trisha war sich nicht sicher, ob sie richtig verstanden hatte, und hakte nach: »Das heißt, er ist aus dem Gefängnis geflohen?«
Der Beamte nickte. »Genauer gesagt, aus dem Krankenhaus. Gestern. Von der Intensivstation. Mit allen Schläuchen, Verbänden und so.« Trisha glaubte, ein verstohlenes Grinsen im Gesicht des Beamten zu erkennen.
»Und nun ist er … auf der Flucht?«, fragte Trisha ein wenig ungläubig.
Der Wärter nickte. »Die werden ihn nicht so schnell einfangen. Nicht Henri. Dazu ist er zu clever.«
Trisha wusste nicht, was sie antworten sollte. »Dann habe ich Pech gehabt …«, meinte sie und wandte sich wieder zum Gehen.
»Wenn Sie mich fragen, hat der alte Sauhund sich auch selbst niederstechen lassen, damit er ins Krankenhaus kommt«, vermutete der Beamte. »Gehörte alles zu seinem Plan.«
Langsam fühlte Trisha sich unwohl. Wo war sie da nur hineingeraten? Ein Mord an einem Mönch, bei dem sie die Hauptverdächtige war. Ein geflohener Straftäter in Deutschland, den sie ausgerechnet am Tag nach seiner Flucht besuchen wollte. Irgendetwas sagte ihr, dass es besser war, schnell zu verschwinden.
»Dann bedanke ich mich für die Auskunft«, flötete sie und versuchte, die Tür zu öffnen. Sie hatte jedoch keine Klinke, sondern nur einen kleinen Knauf.
»Warten Sie!«, sagte der Beamte. »Ich bräuchte Ihre Personalien. Vielleicht haben die von der Polizei ein paar Fragen an Sie, jetzt, wo Sie so kurz nach seiner Flucht hier auftauchen und sich nach ihm erkundigen. Die werden mit Sicherheit mit allen sprechen wollen, die ihn kennen.«
Es war zu spät, dachte Trisha. »Ja, selbstverständlich«, sagte sie lächelnd und versuchte, betont gelassen zu wirken. Ihr kamen einmal mehr ihre Fähigkeiten als Pokerspielerin zugute.
Tatsächlich stieg in ihr, wie bereits am Flughafen auf der Reise hierher, Angst auf. Was, wenn sie nach der Sache in Las Vegas doch gesucht wurde? Was, wenn irgendjemand sie auf irgendwelchen Überwachungsfilmen im Hotel erkannt hatte und sie zur Fahndung ausgeschrieben war? Immerhin war sie kurz zuvor in das Finale des berühmtesten Pokerturniers der Welt gekommen und im Hotel Rio nicht vollkommen unbekannt. Vielleicht würde man sie gleich hier im Gefängnis behalten, wenn sie ihren Namen nannte. Sie musste lügen, wenn man sie nicht nach einem Ausweis fragte.
Der Beamte ging hinüber zu seinem jungen Kollegen, dessen Aufmerksamkeit einem kleinen Schwarz-Weiß-Monitor galt, und suchte nach etwas.
»Stifte sind hier immer Mangelware!«, rief der Beamte, während er in einer Schublade kramte. »Es wird nirgends so viel geklaut wie im Gefängnis!«
Auf dem kleinen Bildschirm sah Trisha, wie ein Lastwagen vor dem Tor auf Einlass wartete. Sie beugte sich vor und schaute durch die große Glasscheibe. Tatsächlich öffnete das Tor sich gerade langsam.
Der Beamte kam endlich zu ihr zurück und reichte ihr einen Zettel und einen Stift. »Bitte Namen und Adresse aufschreiben. Ach ja, und einen Pass oder Ausweisdokument müsste ich sehen.«
Trisha presste den Zettel von innen an die große Scheibe und setzte zum Schreiben an. Doch der Kugelschreiber hinterließ nur leichte Kratzer auf dem Papier.
»Der Stift funktioniert nicht!«, bemerkte sie nach mehreren Versuchen und reichte ihn dem Beamten zurück.
Er musterte verwundert die Kugelschreibermine, dann stieß er eine leise Verwünschung aus und ging erneut hinüber zum Arbeitsplatz seines Kollegen, um einen Ersatz zu suchen.
In diesem Moment streckte Trisha den Arm aus und schlug mit der flachen Hand auf den roten Knopf, den der Beamte vorhin zum Öffnen der Tür benutzt hatte. Wieder ertönte das Summen. Sie hechtete zur Tür. Auf halbem Weg packte sie einen Bürostuhl und brachte ihn zwischen sich und die Gefängniswärter. Beide hatten
Weitere Kostenlose Bücher