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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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holen. Aber es war ihr plötzlich danach zumute gewesen, auszusteigen und zu laufen. Am liebsten zurück bis nach Genua – oder bis nach Paris. Aber das ging nicht. Sie durfte nicht undankbar sein. Calzabigi war kein schlechter Mensch. Sie liebte ihn nur nicht, so wie er sie. Sie lebte neben ihm, aber nicht mit ihm. Er konnte ihr Gesellschaft leisten, aber selbst wenn er bei ihr war, konnte er ihr nicht ihre Einsamkeit nehmen. Er war wie ein Sonnenschirm, der sie zwar beschützte, aber ihr gleichzeitig den Anblick und die Wärme der Sonne nahm.
    Eines Tages würde sie Berlin verlassen können. Wenn Calzabigi zu seinem Wort stand und ihr den versprochenen Lohn für ihre Dienste auszahlte. Vielleicht würde sie Charles mitnehmen können. Unabhängig und frei sein und ein wenig Geld haben. Davon träumte sie. Sie hob den Kopf und blickte die Allee entlang, die sich bis zum Horizont erstreckte.
    Nein, sie träumte nicht davon, eines Tages Berlin als glückliche Frau zu verlassen. Wenn sie ehrlich war, hoffte sie es.

40
    M UMBAI
    Eines Tages war Sushil auf einen Kran geklettert und hatte auf dessen langem Arm weit oben über ihren Köpfen balanciert. Pradeep und die anderen Kinder hatten die Szene von unten beobachtet und jeden Augenblick damit gerechnet, seinen zerschmetterten Körper vom Boden aufheben zu müssen.
    »Bist du lebensmüde?«, hatte Pradeep ihn gefragt, als sein Freund endlich von den letzten Sprossen der Leiter heruntergesprungen war und wieder wohlbehalten vor ihnen stand.
    »Was willst du?«, hatte Sushil mit weit aufgerissenen Augen zurückgefragt. »Das ist hier unten doch nicht anders als da oben! Der Abgrund ist immer da!«
    An diese Worte erinnerte sich Pradeep nun, als er durch die Indravadan Oza Road irrte, um den Telefonladen zu suchen. Neben dem Hospital, hatte Sushil gesagt.
    Seit der Recyclingbetrieb geschlossen hatte, war Pradeep wie benommen tagsüber durch die Straßen gestreunt. Einmal hatte er sogar gebettelt, doch die Ausbeute für einen erwachsenen Mann wie ihn, der keine Verkrüppelungen vorzeigen konnte, war erbärmlich. Ein kleines Mädchen, das unweit von ihm Rosen an Autofahrer und Rikscha-Passagiere verkauft hatte, war locker auf das Zehnfache seiner Tageseinnahmen gekommen; und so hatte er das Betteln bald wieder gelassen.
    Weil er kein Geld mitbrachte, vermied er es, zu normalen Zeiten nach Hause zu kommen. Vor allem aber lag es an Panditas Zustand, für den er sich schuldig fühlte. So kam er immer erst spät in der Nacht nach Hause, wenn alle schliefen, und verschwand im Morgengrauen.
    »Jeder Tag, den sie überlebt, ist ein guter Tag«, hatte der Arzt gesagt und ihm aufmunternd auf die Schulter geklopft. »Du musst dir vorstellen, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hängt. Wir können nur zuschauen, ob er reißt oder ob jemand es gut mit ihr meint und daraus ein Netz spinnt.«
    Nach vielen Jahren war Pradeep sogar wieder in die Kirche gegangen. In einer kleinen Kapelle am Ghandi Park hatte er jeden Abend um Panditas Genesung gebetet.
    Endlich fand er den Laden. Sushils Phone House stand in schmutzigen gelben Lettern über einem kleinen Geschäft. Die Buchstaben wirkten wie aus Pappe gestanzt, und das »l« war verloren gegangen. Das Schaufenster war mit einer schwarzen Staubschicht überzogen und verhinderte so den Blick ins Innere. Das Geschäft sah geschlossen aus. Pradeep zögerte eine Sekunde, dann nahm er sich ein Herz und drückte gegen die Tür, die zu seiner Überraschung nachgab. Eine Klingel über seinem Kopf kündigte sein Kommen an.
    Drinnen war es dunkel. Pradeep erkannte einen Glastresen, dahinter eine Wand mit Regalen. Aus einer Tür, die zwischen den Regalen in einen weiteren Raum führte, trat ein Mann, groß wie ein Baum.
    Es war nicht Sushil.
    »Ja?«, begrüßte der Mann ihn unwirsch.
    Fast schien es so, als wären Kunden in diesem Laden nicht erwünscht. Sein Gesicht war mit Narben überzogen, eine Hälfte war ganz mit dunklen Flecken übersäht. Seine Augen lagen tief in den Höhlen.
    »Ich möchte zu Sushil«, sagte Pradeep unsicher und schaute sich zur Tür um. Vielleicht war es besser, auf der Stelle umzudrehen und wieder zu gehen.
    Der Mann betrachtete ihn mit einem prüfenden Blick, dann forderte er ihn mit einer Handbewegung auf, näher zu kommen.
    Pradeep blieb stehen. »Ist er hier?«, fragte er.
    »Er ist hinten in seinem Büro«, antwortete der Hüne.
    Immer noch bewegte Pradeep sich nicht. »Kann er rauskommen?«, fragte er.
    Der Mann

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