Das Los: Thriller (German Edition)
Straßenstände ein kleines goldenes Büchlein mit Gedichten deutscher Poeten erstanden und die ersten zwei einfach auswendig gelernt. Tatsächlich spürte er beim Rezitieren mittlerweile so etwas wie Rührung in der Brust, auch wenn er die Bedeutung der Worte, die seine Lippen da formten, noch immer nicht vollständig verstand.
Hainchelin schien das neuerliche Interesse seines Gegenübers für die Poesie in keiner Weise zu teilen; vielmehr wurde seine Miene noch ärgerlicher. »So kommt Ihr unangemeldet, um mir ein deutsches Gedicht vorzutragen? Ihr werdet immer sonderbarer, Italiener.«
»Der Grund ist eigentlich ein anderer: Denn nicht nur die Natur erwacht, auch unsere Lotterie. Ich wollte es Euch persönlich sagen. Ich habe bis spät in die Nacht die Ergebnisse der gestrigen Ziehung berechnet, und ich freue mich, Euch mitteilen zu können, dass wir Gewinn gemacht haben.« Er ließ seine Worte wirken.
Hainchelin verlagerte seinen Sitz ungeduldig von einer Pobacke auf die andere. »Schön. Das freut mich«, sagte er trocken.
»Und wenn ich Gewinn sage, so meine ich auch Gewinn. Schaut hier.« Calzabigi griff in eine Tasche seines Rocks und reichte Hainchelin ein Blatt Papier.
Der hielt es eine Armlänge entfernt von seinem Gesicht und überflog es. »Das kann nicht sein!«, rief er verblüfft aus.
Calzabigi wurde warm ums Herz. Auf diesen Moment hatte er so lange gewartet. »Oh, doch. Die Bewerbung der Lotterie, die wir betrieben haben, die erhöhten Provisionsversprechen an die Einnehmer mit den geringsten Erlösen und vor allem die Einkerkerung dieser beiden Lottobetrüger von der Poststation haben ihr Übriges beigetragen.«
Hainchelin blickte immer noch ungläubig auf das Papier. »Ich werde es gegenprüfen …«, murmelte er und legte es neben sich. Dann blickte er Calzabigi regungslos ins Gesicht. »Haben denn diese Betrüger mittlerweile gestanden?«
Calzabigis Miene verdüsterte sich. »Kein Wort haben sie gesagt. Leider hat der König die Folter verboten, sonst hätten wir mehr aus ihnen herausbekommen. Sie werden aber auch so den Rest ihrer Tage im Kerker verschimmeln. Selbst unser empfindsamer König ist sehr erbost darüber, dass sie die Lottokasse und somit ihn höchstselbst so lange geschädigt haben. Im Moment sind wir dabei, noch einige Gewinner zu verhaften, die von dem Betrug profitiert haben.«
Hainchelin nickte und rieb sich mit der Hand die Nase.
»Ihr seht, meine Maßnahmen greifen endlich«, sagte Calzabigi.
Hainchelin verzog sorgenvoll den Mund.
»Wenn ich mir aber diese Summe anschaue, die in der Lottokasse vorhanden ist«, setzte er an, »so muss ich feststellen, dass viele der aufgeführten Taler aus schlechtem Geld bestehen, welches ihr hineingeschossen habt.«
»Die meisten Werber und Einnehmer und auch die Druckerei weigern sich, die roten Münzen anzunehmen, daher steckt viel des Kupfergeldes in der Kasse. Aber es gibt kein schlechtes und gutes Geld. Geld ist Geld, und das seht Ihr an den Zahlen auf dem Blatt dort vor Euch. Eine Hundert ist eine Hundert, gleich, woraus eine Münze besteht.«
»Das stimmt so nicht«, verbesserte Hainchelin ihn. »Heute ist ein Taler nur noch dreißig Prozent wert von dem, was er wert war, bevor diese minderen Ephraimiten das Land überschwemmt haben. Das bereitet dem König große Sorgen. Wie ich hörte, plant er, die Annahme des schlechten Geldes durch die Generaldomänenkasse bald abzulehnen und stattdessen wieder gute Münzen zu prägen, welche dann die einzig akzeptierte Währung sein werden. In diesem Fall wäre Eure Kasse hier mit einem Schlag nur noch ein Drittel wert …«
Calzabigi glaubte, in Hainchelins Augen ein Funkeln zu entdecken. »Woher habt Ihr diese Information?«, fragte er, wobei er seine Besorgnis nicht verbergen konnte.
»Nun, ich selbst habe es dem König empfohlen.« Hainchelin konnte ein hämisches Grinsen nicht unterdrücken. »Immerhin bin ich Finanzrat und verantwortlich für mehr als nur diese Lotterie. Es ist die einzige Möglichkeit, die Inflation zu stoppen!«
Calzabigi spürte, wie der in ihm aufkommende Ärger seine gute Laune zu verdrängen drohte. Eigentlich war heute ein Tag, an dem er sich seit langer Zeit wieder richtig freuen wollte. Dies sollte dieser Stinkstiefel ihm nicht verderben.
»Bis es soweit ist, werde ich das schlechte Geld in der Kasse gegen gutes umgetauscht haben!«, verkündete er trotzig.
Hainchelin grinste spöttisch. »Nun gut, dann danke ich Euch für die guten Nachrichten.
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