Das Los: Thriller (German Edition)
Lotterie. Über den Notar und den toten Mönch. Wie Sie es gewünscht haben.«
»Woher haben Sie das?«, erkundigte sich Carter und schnalzte zufrieden mit der Zunge.
»Ich komme gerade aus Rom.«
»Ich kann das jetzt nicht alles durchlesen«, meinte Carter. »Was haben wir …« Er hielt inne, denn Gonzales hielt plötzlich einen Zeigefinger vor seinen Mund und lauschte erneut am Vorhang hinter sich.
Nachdem er eine Weile in dieser Position verharrt hatte, entspannte er sich und fuhr fort: »Der Mönch war ein Mönch –«
»Ich liebe Ihre Statements, Sie sollten Politiker werden«, unterbrach Carter ihn.
Gonzales ignorierte den Einwand und sprach mit regungsloser Miene weiter: »Er gehörte zu einem kleinen Orden in Rom, dessen einziger Zweck in dieser Lotterie zu bestehen scheint. Viel mehr war darüber nicht rauszubekommen. Alles streng geheim. Wenn er nicht auf Reisen war, lebte der Mönch abgeschieden in einem Kloster. Ich weiß nicht einmal, ob es noch mehr von seiner Sorte gibt. Keine Aufzeichnungen über die Lotterie. Kein Informant kannte sie. Was es zu gewinnen gibt, konnte ich ebenfalls nicht herausfinden. Ein Preis von unermesslichem Wert, heißt es immer nur. Alles andere ist unter Verschluss.«
»Und der Notar?«
»Er unterliegt der Schweigepflicht und gibt sich zugeknöpft. Die Unterlagen scheinen bei ihm im Tresor zu liegen. Ich habe auf einen Einbruch erst einmal verzichtet …«
»Sie haben auf einen Einbruch erst einmal verzichtet …«, wiederholte Carter belustigt.
»Weil ich glaube, dass so eine Maßnahme vielleicht nicht nötig ist. Der Notaio liebt das dolce vita in Rom. Er hat Spielschulden bei Leuten, bei denen man nicht gern Schulden haben würde. Steht alles da in der Akte.« Gonzales zeigte auf den Ordner.
Carter frohlockte. »Mafia?«
Gonzales nickte.
Carter dachte kurz nach. »Das kann uns nützen …«, bemerkte er dann.
»Ich denke, was Sie denken«, entgegnete Gonzales.
»Und die anderen Teilnehmer der Lotterie?«, erkundigte sich Carter.
»Ich habe drei ausfindig gemacht. Als Erstes ein Mädchen.« Gonzales beugte sich vor und las den Namen aus der aufgeschlagenen Akte ab. »Trisha Wilson. Sie ist eine professionelle Pokerspielerin.«
»Pokerspielerin?«, wiederholte Carter, als hätte er diese Berufsbezeichnung noch nie gehört.
»Scheinbar eine gute. Hat gerade das Finale der Poker-WM im Oktober erreicht. Bisheriges Preisgeld eine knappe Million, das sie nun wohl komplett in diese Lotterie einsetzen musste.«
Carter verzog beeindruckt den Mund. Früher hätte er über solche Summen gelacht, doch die Zeiten hatten sich geändert.
»Ihre Eltern leben in England«, fuhr Gonzales fort. »In Leeds. Sie glauben, ihre Tochter studiert an einer Elite-Universität. Jedenfalls erzählen sie es überall herum. Offensichtlich haben sie der Kleinen Geld geliehen, das die verzockt hat.«
»Woher wissen Sie so etwas?«, fragte Carter beeindruckt.
»Das ist mein Job«, entgegnete Gonzales kühl.
Carter schaute neugierig in den Aktenordner. »Wer ist dieser Henri Freihold? Ist das hier ein Foto von einem Gefängnis?«
»Er ist ein verurteilter Straftäter. Saß dreizehn Jahre im Gefängnis. Er hat Sicherheitsverwahrung bekommen; das heißt, er wäre so schnell wohl nicht mehr rausgekommen. Wenn nicht …«
»Wenn nicht was?«
»Er ist getürmt. Letzte Woche.«
»Aus dem Gefängnis?«
Gonzales nickte. »Er ist wohl verletzt worden. Irgendjemand hat letzte Woche auf ihn eingestochen, und er ist aus dem Krankenhaus geflohen.«
»Auf ihn eingestochen?« Carter blickte Gonzales nachdenklich an. »Glauben Sie, das ist ein Zufall? Erst der Mönch, dann er und jetzt ich?«
»Habe ich auch schon drüber nachgedacht«, entgegnete Gonzales mit sorgenvoller Miene. »Da bleibe ich dran.«
Carter verspürte Durst, vielleicht wegen der Dialyse.
»Und der Letzte?«, fragte er.
»Ein Phantom«, sagte Gonzales. »Ein Inder. Lebt wohl in Mumbai. In einem Slum, das Dharavi heißt. Keine Adresse. Keine Sozialversicherungskarte. Hat vor Kurzem allerdings ein Konto eröffnet. Und sein Name taucht auf der Liste einer indischen Hauslotterie auf. Scheint, als hätte er dort das große Los gezogen. Ansonsten kein Foto, kein Alter, nichts. Wäre schwer bis unmöglich, den in so einem Moloch wie Mumbai zu finden.«
»Warum nur Mumbai?«, entfuhr es Carter.
Gonzales hob erneut die Schultern.
Carter blätterte eine Weile wortlos in der Akte herum.
»Alle keine Engel«, murmelte
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