Das Los: Thriller (German Edition)
ein Rufen aus dem Inneren hin öffnete er und trat beiseite, damit Henri und Trisha an ihm vorbei eintreten konnten. Ein Mann kam hinter einem Schreibtisch hervor und begrüßte sie. Diesmal musste Henri auf herzliche Kuscheleinlagen verzichten, stattdessen gab es einen kumpelhaften Handshake .
Der Mann war deutlich kleiner als Trisha. Obwohl Trisha es hier drinnen unerträglich warm fand, trug er eine Lederjacke. Er sah südländisch aus, und seine Haare waren ebenso schwarz wie seine dichten Augenbrauen. Wahrscheinlich ein Grieche, dachte Trisha. Er musterte sie mit stechendem Blick und nickte ihr zu. Dann wies er ihnen zwei Stühle zu und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
Trisha schaute sich um. Das Büro war unglaublich unordentlich. Auf dem Schreibtisch stand ein neuer Computer, der von allerlei Zetteln und Papieren umlagert wurde. Dazwischen lagen überall leere Pistazienschalen verstreut. Zigarettengestank stieg aus zwei überquellenden Aschenbechern empor. Ihr Blick blieb an einer silbernen Pistole haften, die griffbereit auf der rechten Seite des Tisches lag. Ansonsten gab es einige Aktenschränke. Am auffälligsten war jedoch ein riesiger Tresor, der wie frisch aus einer Bank gestohlen wirkte. In einer Ecke standen ein Schemel und daneben ein Scheinwerfer sowie ein großer schwarzer Schirm. Wie in einem Fotostudio, dachte Trisha.
Henri sagte etwas in einer Sprache, die Trisha nicht verstand, und zeigte dabei auf sie.
»Dann also auf Englisch«, sagte ihr Gastgeber mit starkem Dialekt und lächelte ihr zu. »Also, wohin wollt ihr?«
»Indien, Mumbai« antwortete Henri.
Am Abend zuvor hatten sie beide die Unterlagen durchgeschaut, an die Trisha durch den Mönch gelangt war. Auch hatte sie noch einmal mit Chad gesprochen, dessen Suche nach Carter Fields in New York vergeblich gewesen war und der von dem Attentat auf den Finanzhai erst durch Trisha erfahren hatte. Am Morgen hatten sie in der Zeitung gelesen, dass Carter Fields schwer verletzt, aber außer Lebensgefahr war. Obwohl auch Henri immer noch angeschlagen war, hatte er darauf bestanden, mit ihr zu kommen. »Wenn wir wirklich nach Mumbai fliegen, gibt es keinen sichereren Ort für mich als dort«, hatte er gemeint, und Trisha hatte gegen eine männliche Begleitung auf so einer langen Reise nichts einzuwenden gehabt.
»Mumbai«, wiederholte ihr Gastgeber nun und strich sich mit der Hand über den Dreitagebart, der seinem Gesicht einen dunklen Schatten verlieh. »Das ist gut. Die USA wären ein Problem. Und Ihr braucht beide neue Pässe?«
Trisha schaute überrascht zu Henri.
»Genau«, bestätigte der.
»Du weißt, dass das normalerweise mindestens fünfundzwanzig kostet – zum Freundschaftspreis«, sagte der Südländer.
Henri nickte. »Aber wir sind keine Freunde«, bemerkte er grinsend.
Für Trisha schien dies eine eher unkluge Verhandlungsstrategie zu sein, aber sie mischte sich nicht in das Gespräch ein.
»Das stimmt«, antwortete der Grieche, der nun ebenfalls grinste. »Deswegen bekommst du es umsonst. Dann sind wir aber quitt!«
Henri nickte zustimmend.
Der Grieche erhob sich, ging zu dem großen Schirm und drehte ihn. Dann knipste er die Lampe an und richtete sie auf die Wand hinter dem Schemel.
»Wenn ich bitten darf«, sagte er mit einer einladenden Geste und zeigte auf den Hocker. Henri erhob sich, und Trisha tat es ihm gleich.
Auf sein Zeichen hin ließ sie sich nieder, und kurz darauf sah sie in den hellen Blitz eines Fotoapparats. Henri war nach ihr an der Reihe. Der Grieche entnahm der Kamera eine kleine Speicherkarte und ging zum Tresor. Mit dem Rücken zu ihnen öffnete er das Zahlenschloss des Safes und holte zwei kleine Büchlein heraus. Zurück am PC, arbeitete er konzentriert mit der Maus.
Trisha nutzte die Gelegenheit, sich weiter umzuschauen. Nun entdeckte sie auch eine griechische Flagge, die hinter ihr an der Wand befestigt war.
Schließlich begann ein alter Nadeldrucker knarzend zu arbeiten. Der Grieche fluchte in seiner Heimatsprache. Dann setzte er eine Spezialbrille auf, wie Trisha sie noch nie zuvor gesehen hatte, und begann mit einer Pinzette zu hantieren. Nach einer halben Ewigkeit rief er »Fertig!« und überreichte Henri die beiden Büchlein, die offenkundig als Pässe dienen sollten. Henri klappte sie nacheinander auf und verzog anerkennend die Augenbrauen. Mit einem breiten Lächeln übergab er Trisha einen der Pässe. Das Dokument war rot, auf der Vorderseite prangte ein goldenes
Weitere Kostenlose Bücher