Das Los: Thriller (German Edition)
Schloss an sein Vehikel, dann schritt er eilig voran. Henri und Trisha blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Trisha hielt ihre Handtasche fest umklammert. Ihr fiel auf, dass sich Henri immer noch beim Gehen an die Seite fasste. Sie erinnerte sich an seine Verletzung, gegen die er fleißig Tabletten schluckte. Sicher war hier nicht das beste Klima und nicht der beste Ort, um so etwas auszukurieren.
Schon nach wenigen Schritten stand Trisha der Schweiß auf der Stirn. Ihr Mund fühlte sich trocken an, ihre Lippen rissig. Sie passierten Frauen, die zumeist vor den Hütten saßen und Essen zubereiteten oder Wäsche wuschen. Schon bald hatte sich ihnen ein Pulk Kinder angeschlossen, die neugierig zwischen ihren Beinen hopsten und sie immer wieder ansprachen, ohne dass sie etwas verstanden. Der Rikschafahrer blieb ein ums andere Mal stehen und sprach Slumbewohner an, um sich zu orientieren. Manchmal ignorierten sie ihn einfach, manchmal deuteten sie mit dem Finger die Gasse hinauf, die etliche Biegungen machte.
Nachdem Trisha sich zwischen Wäscheleinen und noch schmaleren Gängen hindurchgequetscht hatte, verlor sie endgültig die Orientierung. Ängstlich klammerte sie sich an Henris Arm. Er schien im Gegensatz zu ihr unbesorgt zu sein, jedoch atmete er schwer, und unter den Achselhöhlen hatten sich auf seinem Hemd große Schweißflecken gebildet.
Einige Kinder gingen verloren, andere kamen hinzu. Schließlich blieb ihr Fahrer vor einer der Blechhütten stehen und deutete auf den Eingang.
»Kottayil!«, sagte er.
Erst auf mehrmalige Nachfrage verstand Trisha, dass dies der Nachname von diesem Pradeep war. Vorsichtig suchte sie nach einer Klingel oder Ähnlichem, doch der Fahrer gab ihr einfach einen sanften Schubs, sodass sie in das Innere der Hütte stolperte. Die Luft war hier noch feuchter und stickiger als draußen. Es roch nach Gewürzen und Erde. Henri tauchte schnaufend neben ihr auf. Obwohl sie ihn nicht berührte, merkte sie, wie er Hitze ausstrahlte.
Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erkannte sie die Konturen einer Frau, die vor ihr auf dem Boden kniete. Leise summend wiegte sie ihren Oberkörper hin und her. Auf ihrem Arm trug sie ein Bündel. Erst als Trisha in die Hocke ging, erkannte sie, dass die Frau ein kleines Kind hielt. Es hatte die Augen fest geschlossen.
Trisha blickte hoch zu Henri, der dies als Aufforderung verstand, sich neben sie zu knien.
»Was hat sie?«, fragte Trisha, zum Rikschafahrer gewandt.
Der sprach die Frau in einem rauen Ton an. Sie antwortete leise und monoton.
»Sie ist krank. Sie stirbt«, sagte der Rikschafahrer ohne Mitleid in der Stimme.
Trisha spürte, wie es ihr das Herz zerriss. Das kleine Mädchen war in ein weißes Gewand gekleidet. Ihr Gesicht war zart und erinnerte sie an eine indisch aussehende Puppe, die sie einmal besessen hatte.
»Was hat sie?«, erkundigte sich Trisha beim Fahrer.
Etwas widerwillig gab er die Frage an die Mutter weiter. Sie hob den Kopf und schaute Trisha mit leeren Augen an. Dann senkte sie den Kopf und blickte wieder auf ihr Kind. Trisha konnte sich von dem Anblick nicht lösen.
»Frag sie, ob sie Pradeep kennt«, mischte sich Henri nun in das Gespräch ein.
Wieder sprach ihr Begleiter die Frau an; bei Erwähnung des Namens schaute sie auf. Dann sagte sie ein paar Worte, die für Trishas Ohren verächtlich klangen.
»Es ist ihr Mann«, berichtete der Fahrer. »Er ist schon seit Tagen nicht mehr nach Hause gekommen. Sie weiß nicht, wo er ist.«
»Hat er ein Handy?«, wollte Henri wissen.
Der Fahrer übersetzte, und die Frau schüttelte den Kopf.
Trisha starrte noch immer auf das Mädchen. Der kleine Brustkorb hob und senkte sich in schneller Abfolge.
»Darf ich?«, fragte sie und streckte ihre Hand aus.
Die spontane Skepsis im Gesicht der Mutter wich nach wenigen Sekunden einem traurigen Lächeln. Vorsichtig schob Trisha eine Haarsträhne aus dem Gesicht des Kindes, dann strich sie ihm über die Wange. Sie fühlte sich heiß und glatt an.
»Wie heißt sie?«, erkundigte sich Trisha.
»Pandita«, antwortete die Frau.
Trisha wiederholte den Namen leise.
»Kann sie ihm eine Nachricht übermitteln, wenn er auftaucht?«, hörte sie Henris Stimme weit entfernt.
Dann folgte das Echo ihres Führers in indischer Sprache. Die Mutter nickte. Henri kramte in seinen Taschen, holte einen Stift und einen kleinen Zettel hervor, schrieb kurz etwas darauf und hielt ihn dann der
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