Das Los: Thriller (German Edition)
blickte nach links. Neben ihr saß Pradeep, den Kopf weit nach hinten gestreckt, den Mund leicht geöffnet. Er schlief tief und fest. Sie schaute nach rechts; immer noch schlug ihr Herz bis zum Hals. Auf der anderen Seite des Ganges saß Henri. Auch er schlief. Mit vor der Brust gekreuzten Armen und geschlossenen Augen wirkte er ganz friedlich. Sie fingerte in ihrer Hosentasche nach ihrem Handy. Während des Stopps in Doha hatte sie eine Nachricht von Chad erhalten.
Habe Zeitungsartikel über den Anwalt gefunden. Es stimmt. Er ist ein Vergewaltiger. Tu das Richtige. Wir sehen uns in Rom. ILD Chad.
Sie seufzte. Das Flugzeug flog eine leichte Kurve, wodurch sie gegen die Armlehne gedrückt wurde.
»Nachrichten von Chad?«, flüsterte eine Stimme zu ihr herüber.
Es war Henri, der wach geworden war. Sie lächelte ihn gequält an und steckte ihr Telefon wieder weg; dann schloss sie die Augen und tat so, als würde sie schlafen wollen.
Die Landung in Rom war hart und weckte auch die letzten Schläfer unter den Passagieren, einschließlich Pradeep. Wenig später hielt die Maschine vor einem flachen Gebäude.
Auf der langen Brücke, an der ihr Flugzeug angedockt war, ließ sich Trisha in der Menge der Flugzeuginsassen ein wenig zurückfallen, bis Henri und Pradeep aus ihrem Sichtfeld verschwunden waren. Wieder beschleunigte sich ihr Puls, so wie sie es vom Pokern kannte, wenn man einen Coup plante. Sie schaute sich um. Am Übergang zum Flughafengebäude stand ein Sicherheitsmann. Ein junger Italiener, der gelangweilt die vorbeiströmenden Passagiere beobachtete und dem anzusehen war, dass auch er nicht so recht wusste, worauf er überhaupt achten sollte.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
»Entschuldigen Sie«, sprach sie ihn an.
Aus seiner Langeweile herausgerissen, blickte er ihr erwartungsfroh entgegen. Von einer jungen Dame angesprochen zu werden schien seinen Alltag zu bereichern.
Gerade wollte Trisha weitersprechen, als vor ihr Henri und Pradeep auftauchten.
»Hier bist du also!«, rief Henri. »Wir haben dich schon gesucht.« Während er sprach, schaute er überrascht auf den Beamten. »Gibt es ein Problem?«, fragte er besorgt.
Trisha schüttelte den Kopf. »Ich hatte euch verloren und wollte gerade um Hilfe bitten!«, sagte sie mit einem Lächeln und verabschiedete sich von dem jungen Wachmann.
»Ich dachte schon …«, bemerkte Henri erleichtert, als sie außer Hörweite waren.
»Alles gut«, murmelte Trisha.
Pradeep ging schweigend neben ihnen und schaute sich um, als seien sie in einem Museum.
Nach endlosen Gängen öffnete sich vor ihnen endlich die Gepäckhalle. Das Band, auf dem ihre Koffer auftauchen sollten, drehte noch ohne Gepäck seine Runden.
»Ich muss mal auf Toilette«, sagte Trisha und schaute sich suchend um.
Henri zeigte zu einer Reihe Schilder am Ende der Halle.
»Ich auch«, sagte Pradeep.
»Geht ihr beide nur, ich weiß ja, wie die Koffer aussehen«, erklärte Henri.
Als sie den Wegweiser zur Toilette erreichten, drehte Trisha sich nach Henri um. Er stand noch immer an der Gepäckausgabe, den Blick stur auf das leere Band vor sich gerichtet. Von seinem Äußeren her unterschied er sich kaum von den vielen Geschäftsreisenden um ihn herum.
Vor den Toiletten deutete Trisha auf die Herrentoilette. »Bis gleich! Warte hier auf mich!«, sagte sie zu Pradeep, der im nächsten Moment durch die weiße Schwingtür verschwand.
Trisha blieb stehen und griff nach ihrem Handy. Sie wählte eine Nummer. Erleichtert atmete sie tief ein, als ein Freizeichen ertönte. Die Nummer des Notrufs war dieselbe wie in England. Nach wenigen Klingeltönen meldete sich eine Stimme in italienischer Sprache.
Rasch gab sie eine Beschreibung von Henri durch, nannte seinen falschen russischen Namen und seinen richtigen deutschen. Dann legte sie auf. Sie war sicher, dass ihr Anruf aufgezeichnet wurde, daher verzichtete sie darauf, etwas zu wiederholen.
Mit einem flauen Gefühl im Magen betrat sie die Damentoilette und schloss sich in einer der Kabinen ein. Sie verstand nicht, warum, aber sie kämpfte mit den Tränen. Eine Weile blieb sie auf der geschlossenen Klobrille sitzen, dann wusch sie sich das Gesicht und die Hände und verließ die Toilette. Pradeep wartete schon davor. Sie reckte sich, doch das Gepäckband konnte sie von hier aus nicht einsehen.
»Ich habe noch Durst!«, sagte sie und zeigte auf einen kleinen Stand, der Snacks und Getränke anbot.
Pradeeps Augen verrieten seine Ungeduld,
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